Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
leichter Schatten auf ihre entzückende Stirn legte.
Piskarjow wandte alle Mühe an, um sich durch die Menge zu schieben und die Schöne näher zu sehen; aber irgendein großer Kopf mit dunklem Kraushaar verdeckte sie zu seinem größten Ärger immer wieder vor ihm; außerdem hatte ihn die Menge so eingezwängt, daß er weder sich vorwärtszudrängen, noch zurückzuweichen wagte, aus Furcht, irgendeinen Geheimrat anzustoßen. Da hat er sich aber doch vorgedrängt und einen Blick auf seine Kleidung geworfen, um sie etwas in Ordnung zu bringen. Du lieber Himmel, was ist denn das?! Er hat ja einen über und über mit Farben beschmierten Rock an: in der Eile hatte er ganz vergessen, sich vor dem Aufbruch anständig umzuziehen. Er errötete bis über die Ohren, senkte den Kopf und wollte in die Erde versinken; aber auch das war ganz unmöglich: hinter ihm stand eine ganze Mauer von Kammerjunkern in glänzenden Uniformen. Er wünschte sich weit fort von der Schönen mit der herrlichen Stirne und den schönen Wimpern. Voller Angst hob er die Augen, um festzustellen, ob sie ihn nicht ansehe. Mein Gott, sie stand ja vor ihm! … Aber was ist das, was ist das? »Das ist sie!« rief er plötzlich ganz laut. Es war in der Tat sie, dieselbe, der er auf dem Newskij begegnet war und die er bis zu ihrer Wohnung begleitet hatte.
Sie hob indessen ihre Wimpern und sah alle mit ihrem heiteren Blick an. »Ach, wie schön! …« das war alles, was er mit stockendem Atem sagen konnte. Sie ließ ihre Blicke im Kreise schweifen, – ein jeder wollte ihre Aufmerksamkeit auf sich lenken, aber sie wandte mit einer eigentümlichen Ermüdung und Gleichgültigkeit die Blicke von allen ab und richtete sie auf Piskarjow. Oh, welch ein Himmel! Welch ein Paradies! Schöpfer, gib mir die Kraft, es zu ertragen! Das Leben kann es nicht fassen, dieser Blick muß es zerstören und die Seele entführen! Sie gab ihm ein Zeichen, aber nicht mit der Hand und nicht durch ein Nicken des Kopfes, nein, in ihren alles zermalmenden Augen kam dieses Zeichen so leise, so unmerklich zum Ausdruck, daß niemand es wahrnehmen konnte; er aber sah und verstand es. Der Tanz dauerte lange; die müde Musik schien allmählich zu ersterben und zu erlöschen, schwang sich dann wieder auf, kreischte und dröhnte; endlich war der Tanz zu Ende. Sie setzte sich; ihre ermüdete Brust hob sich unter den zarten Tüllwolken; ihre Hand (Schöpfer, was für eine wundervolle Hand!) sank auf ihre Kniee, fiel auf ihr luftiges Gewand, und ihr Kleid schien unter der Last dieser Hand Musik zu atmen, und seine zarte Fliederfarbe unterstrich noch mehr das blendende Weiß dieser herrlichen Hand. Nur einmal diese Hand berühren, – und nichts mehr! Keine anderen Wünsche, – alle anderen Wünsche sind zu kühn … Er stand hinter ihrem Stuhl und wagte nicht, zu sprechen, wagte nicht zu atmen. »Sie haben sich wohl gelangweilt?« sagte sie: »Auch ich habe mich gelangweilt. Ich merke, daß Sie mich hassen …« fügte sie hinzu, indem sie ihre langen Wimpern senkte.
»Sie hassen? Ich? … Ich? …« wollte der ganz fassungslose Piskarjow sagen; er hätte auch gewiß eine Menge unzusammenhängender Worte gesagt, aber in diesem Augenblick nahte ihr ein Kammerherr mit einem schön frisierten Toupet und machte einige witzige und angenehme Bemerkungen. Er zeigte nicht ohne Anmut eine Reihe recht schöner Zähne und trieb mit jedem Witz einen spitzen Nagel in Piskarjows Herz. Endlich wandte sich zum Glück jemand an den Kammerherrn mit irgendeiner Frage.
»Wie unerträglich!« sagte sie und richtete auf ihn ihre himmlischen Augen. »Ich werde mich am anderen Ende des Saales hinsetzen: finden Sie sich dort ein!« Sie glitt durch die Menge und verschwand. Er bahnte sich wie wahnsinnig den Weg durch das Gedränge und stand schon neben ihr.
Sie war es wirklich! Sie saß wie eine Königin, schöner und herrlicher als alle, und suchte ihn mit den Augen.
»Sie sind hier?« sagte sie leise. »Ich will mit Ihnen aufrichtig sein: die Umstände unserer Begegnung sind Ihnen wohl merkwürdig vorgekommen. Glauben Sie denn, daß ich zu den verächtlichen Geschöpfen gehören könne, unter denen Sie mich trafen? Ihnen erscheinen meine Handlungen wohl sonderbar, aber ich will Ihnen das Geheimnis enthüllen. Sind Sie imstande,« sagte sie, indem sie auf ihn ihre Augen richtete, »es niemand zu verraten?«
»Oh, gewiß, gewiß, gewiß! …«
In diesem Augenblick trat aber an sie ein älterer Herr heran,
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