Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Nachtwandler halten oder für einen vom Alkohol vergifteten Menschen: so ausdruckslos war sein Blick. Seine angeborene Zerstreutheit entwickelte sich noch mehr und verjagte von seinem Gesicht gewaltsam alle Gefühle und Regungen. Nur beim Anbruch der Nacht wurde er wieder lebendig.
Dieser Zustand zerrüttete seine Kräfte, und seine schrecklichste Qual war, daß der Schlaf anfing, ihn ganz zu fliehen. Um seinen einzigen Reichtum zu erhalten, wandte er alle Mittel an, um den Schlaf wiederzuerlangen. Er hatte gehört, es gäbe wohl ein Mittel, den Schlaf wiederzuerlangen – man brauche nur Opium einzunehmen. Wo verschafft man sich aber Opium? Er erinnerte sich eines persischen Kaufmanns, der mit Schals handelte und der ihn bei fast jeder Begegnung bat, ihm eine junge Schöne zu malen. Er beschloß, zu diesem Perser zu gehen, in der Annahme, daß jener wohl sicher Opium habe.
Der Perser empfing ihn, mit untergeschlagenen Beinen auf einem Sofa sitzend. »Wozu brauchst du Opium?« fragte er ihn.
Piskarjow erzählte ihm von seiner Schlaflosigkeit.
»Gut, ich will dir Opium geben, du mußt mir aber eine junge Schöne malen. Sie muß sehr schön sein! Die Brauen schwarz, und die Augen groß wie Oliven; ich selbst soll aber neben ihr liegen und eine Pfeife rauchen! Hörst du, sie muß schön sein, sehr schön!«
Piskarjow versprach ihm alles. Der Perser ging für einen Augenblick hinaus und brachte ein Glas mit einer dunklen Flüssigkeit. Er goß einen Teil davon in ein Fläschchen und gab es Piskarjow mit der Weisung, nicht mehr als sieben Tropfen in Wasser zu nehmen. Piskarjow ergriff gierig das kostbare Gläschen, das er auch nicht für einen Haufen Goldes wieder hergegeben hätte, und stürzte nach Hause.
Zu Hause angelangt, goß er einige Tropfen in ein Glas Wasser, nahm es ein und warf sich aufs Bett.
Gott, diese Freude! Sie! Wieder sie, aber schon in einer ganz anderen Welt! Wie schön sitzt sie am Fenster eines freundlichen Landhäuschens! Ihre Kleidung atmet solche Schlichtheit, wie sie nur ein Dichter ersinnen kann. Das Haar auf ihrem Kopfe … Gott, wie einfach ist ihre Haartracht und wie gut steht sie zu ihrem Gesicht! Ein knappes Tüchlein liegt ganz lose auf ihrem schlanken Halse; alles an ihr ist so bescheiden, alles von einem geheimnisvollen, unbeschreiblichen Geschmack erfüllt. Wie lieblich ist ihr graziöser Gang! Wie musikalisch der Tritt ihrer Füße und das Rascheln ihres einfachen Kleides! Wie schön ihre Hand mit dem aus Haaren geflochtenen Armband. Sie spricht zu ihm mit Tränen in den Augen: »Verachten Sie mich nicht: ich bin gar nicht die, für die sie mich halten. Sehen Sie mich doch aufmerksamer an und sagen Sie mir: bin ich denn dessen fähig, was Sie von mir denken?« »Oh, nein, nein, soll jeder, der solches zu denken wagt …«
Er erwachte aber gerührt, zerquält, mit Tränen in den Augen. »Es wäre besser, wenn du gar nicht existiertest, wenn du in dieser Welt nicht lebtest, sondern nur die Schöpfung eines begeisterten Künstlers wärest! Ich würde dann niemals von der Leinwand weichen, ich würde dich ewig anschauen und dich küssen, ich würde nur durch dich leben und atmen wie in einem schönen Traum, und dann wäre ich glücklich; andere Wünsche hätte ich nicht. Ich würde dich vor dem Einschlafen und vor dem Erwachen wie meinen Schutzengel anrufen, ich würde auf dich warten, wenn ich etwas Göttliches und Heiliges darzustellen hätte. Aber jetzt … welch ein schreckliches Leben! Was nützt es mir, daß sie lebt? Ist denn das Leben eines Wahnsinnigen seinen Verwandten und Freunden, die ihn einst geliebt haben, angenehm! Gott, was ist unser Leben! Ein ewiger Kampf zwischen Traum und Wirklichkeit!«
Beiläufig solche Gedanken beschäftigten ihn ununterbrochen. Er dachte sonst an nichts, er nahm fast keine Speise zu sich und wartete mit der Ungeduld und der Leidenschaftlichkeit eines Liebhabers auf den Abend und auf das ersehnte Traumgesicht. Die ständige Richtung seiner Gedanken auf ein Ziel erlangte schließlich eine solche Gewalt über sein ganzes Sein und seine Phantasie, daß das ersehnte Bild ihm fast jeden Tag erschien, und zwar immer in einer, der Wirklichkeit gerade entgegengesetzten Lage, denn seine Gedanken waren vollkommen rein wie die Gedanken eines Kindes. Durch diese Träume wurde der Gegenstand seiner Sehnsucht selbst geläutert und verklärt.
Das Opium erhitzte seine Gedanken noch mehr, und wenn es je einen bis zum höchsten Grade des Wahnsinns,
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