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Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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ungestüm, schrecklich, allverzehrend und stürmisch Liebenden gegeben hat, so war dieser Unglückliche er.
    Von allen seinen Traumgesichten freute ihn eines mehr als alle anderen: er sah sein Atelier vor sich. Er war so heiter und saß so frohgemut mit der Palette in der Hand! Und auch sie war dabei. Sie war schon seine Frau. Sie saß an seiner Seite, den reizenden Ellenbogen auf die Stuhllehne gestützt und sah seiner Arbeit zu. In ihren schmachtenden, müden Augen lag eine Last von Glück; alles im Zimmer atmete paradiesische Seligkeit; es war so hell, so schön aufgeräumt. Gott, sie lehnte ihr reizendes Köpfchen an seine Brust … Einen schöneren Traum hatte er noch nie gehabt. Er erwachte diesmal irgendwie frischer und weniger zerstreut als sonst. In seinem Kopfe schwirrten seltsame Gedanken. »Vielleicht ist sie durch einen unverschuldeten, schrecklichen Zufall in das Laster hineingezogen,« dachte er sich: »Vielleicht sehnt sich ihre Seele nach Reue; vielleicht möchte sie sich selbst aus ihrem schrecklichen Zustande befreien. Darf ich denn gleichgültig ihrem Untergange zusehen, während ich ihr doch bloß die Hand zu reichen brauche, um sie vor dem Ertrinken zu retten?«
    Seine Gedanken gingen noch weiter. »Mich kennt niemand,« sagte er zu sich selbst, »niemand kümmert sich um mich, und auch ich kümmere mich um niemand. Wenn sie aufrichtige Reue äußert und ihren Lebenswandel ändert, werde ich sie heiraten. Ich muß sie heiraten und werde sicher viel besser tun, als viele, die ihre Haushälterinnen und oft sogar die verächtlichsten Geschöpfe, heiraten. Meine Tat wird aber uneigennützig und vielleicht sogar groß sein; ich werde der Welt ihre schönste Zierde wiedergeben!«
    Als er einen so leichtsinnigen Plan gefaßt, fühlte er, wie ihm das Blut ins Gesicht schoß; er trat vor den Spiegel und erschrak selbst vor seinen eingefallenen Wangen und seinem blassen Gesicht. Er kleidete sich sorgfältig an, wusch sich, kämmte sich das Haar, zog einen neuen Frack und eine elegante Weste an, warf sich den Mantel um und trat auf die Straße. Er atmete die frische Luft und fühlte sein Herz erfrischt wie ein Genesender, der zum erstenmal nach einer langen Krankheit ins Freie tritt. Sein Herz klopfte, als er sich der Straße näherte, die sein Fuß seit jener verhängnisvollen Begegnung nicht mehr betreten hatte.
    Lange suchte er das Haus; sein Gedächtnis schien ihn im Stich zu lassen. Er ging zweimal durch die Straße und wußte nicht, vor welchem Hause stehen zu bleiben. Endlich kam ihm eines bekannt vor. Er lief schnell die Treppe hinauf und klopfte an die Tür; die Tür ging auf, und wer trat ihm entgegen? Sein Ideal, das geheimnisvolle Bild, das Original seiner Traumgesichte, diejenige, die sein Leben, sein schreckliches, qualvolles, süßes Leben ausgemacht hatte, – sie, sie selbst stand vor ihm. Er erzitterte; er war von Freude ergriffen und konnte sich vor Schwäche kaum auf den Füßen halten. Sie stand vor ihm noch ebenso schön da, obwohl ihre Augen verschlafen waren, obwohl ihr nicht mehr ganz frisches Gesicht blaß war; aber sie war immer noch herrlich.
    »Ach!« rief sie, als sie Piskarjow erblickte, und rieb sich ihre verschlafenen Augen (es war aber schon zwei Uhr): »Warum sind Sie damals von uns weggelaufen?«
    Er setzte sich erschöpft auf einen Stuhl und sah sie an.
    »Ich bin eben aufgewacht; man hat mich erst um sieben Uhr früh heimgebracht. Ich war ganz betrunken,« fügte sie mit einem Lächeln hinzu.
    Ach, wäre sie doch lieber stumm und der Sprache beraubt, statt solche Reden zu führen! Sie hatte ihm plötzlich wie in einem Panorama ihr ganzes Leben gezeigt. Aber er faßte sich dennoch ein Herz und entschloß sich, zu versuchen, auf sie durch Ermahnungen einzuwirken. Er nahm sich zusammen und hielt ihr mit zitternder und zugleich leidenschaftlicher Stimme das Schreckliche ihrer Lage vor. Sie hörte ihm mit aufmerksamem Gesicht und mit jenem Erstaunen zu, das wir bei einem unerwarteten und seltsamen Anblick zeigen. Sie blickte mit einem leisen Lächeln auf ihre Freundin, die, in einer Ecke sitzend, in ihrer Beschäftigung – sie reinigte einen Kamm – innehielt und ebenso aufmerksam dem neuen Prediger zuhörte.
    »Ich bin allerdings arm,« sagte Piskarjow nach einer langen, belehrenden Ermahnung, »wir werden aber arbeiten, wir werden uns bemühen, unser Leben zu verbessern. Es gibt nichts Angenehmeres, als alles nur sich selbst zu verdanken. Ich werde an meinen Bildern

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