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Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Petersburg eine eigene, mittlere Gesellschaftsschicht darstellen. Bei einer Abendunterhaltung oder einem Diner im Hause eines Staatsrats oder Wirklichen Staatsrats, der diesen Dienstrang nach vierzigjähriger Mühe erlangt hat, kann man immer einen von ihnen treffen. Einige Töchter, so bleich und farblos wie Petersburg selbst, von denen einige schon überreif sind, ein Teetisch, ein Klavier und eine häusliche Tanzunterhaltung sind undenkbar ohne ein leuchtendes Epaulett, das beim Lampenlicht zwischen einer wohlerzogenen Blondine und dem schwarzen Frack eines Bruders oder eines Hausfreundes glänzt. Es ist außerordentlich schwer, so ein kaltblütiges junges Mädchen in Stimmung und zum Lachen zu bringen; es gehört eine große Kunst dazu, oder richtiger, gar keine Kunst. Man muß so sprechen, daß es weder allzu klug, noch allzu komisch sei, und dabei stets an die Bagatellen denken, die die Frauen so lieben. Das muß man den erwähnten Herren lassen: sie haben ein besonderes Talent, diese farblosen Schönen zum Lachen und zum Zuhören zu zwingen. Die vom Lachen erstickten Ausrufe: »Ach, hören Sie auf! Schämen Sie sich doch, einen so zum Lachen zu bringen!« sind oft ihr bester Lohn. In der höheren Gesellschaft kommen sie nur selten vor, oder richtiger gesagt, nie. Hier sind sie ganz von den Menschen verdrängt, die man in dieser Gesellschaft Aristokraten nennt. Im übrigen gelten sie als gebildete und wohlerzogene Menschen. Sie sprechen gerne über die Literatur, loben Bulgarin, Puschkin und Gretsch und fertigen Orlow mit Verachtung und geistreichen Sticheleien ab. Sie versäumen keinen einzigen öffentlichen Vortrag, und wenn er auch nur von der Buchhaltung oder sogar vom Forstwesen handelt. Im Theater begegnet man ihnen bei jedem Stück, höchstens solche Stücke ausgenommen, die wie »Filatka« ihren wählerischen Geschmack verletzen.
    Im Theater sind sie immer anwesend. Für die Theaterdirektion sind sie die nützlichsten Menschen. Sie schätzen in den Stücken hauptsächlich schöne Verse, und lieben es, die Schauspieler laut vor die Rampe zu rufen; viele von ihnen, die in staatlichen Lehranstalten unterrichten oder junge Leute zum Eintritt in diese Lehranstalten vorbereiten, schaffen sich zuletzt ein Kabriolett und ein Paar Pferde an. Dann wird ihr Wirkungskreis noch weiter; schließlich bringen sie es so weit, daß sie eine Kaufmannstochter heiraten, die Klavier zu spielen versteht, an die hunderttausend Rubel mitbekommt und eine Menge bärtiger Verwandter hat. Diese Ehre können sie jedoch nicht früher erlangen, als bis sie es wenigstens zum Obersten gebracht haben, denn die russischen Kaufleute, deren Bärte immer noch etwas nach Sauerkohl riechen, wollen ihre Töchter unbedingt mit Generälen oder wenigstens Obersten verheiratet sehen.
    Das sind die wichtigsten Charakterzüge der jungen Leute dieser Art. Der Leutnant Pirogow verfügte aber außerdem noch über eine Menge anderer Talente, die nur ihm allein eigen waren. Er deklamierte vorzüglich Verse aus dem »Dmitrij Donskoi« und aus »Verstand schadet« und verstand ausgezeichnet, Rauchringe aus seiner Pfeife steigen zu lassen, von denen er zuweilen ganze zehn Stück aufeinanderreihen konnte. Er verstand auch sehr angenehm den bekannten Witz zu erzählen, daß »die Kanone ein Ding für sich und auch das Einhorn ein Ding für sich sei«.
    Es ist übrigens ziemlich schwer, alle Talente aufzuzählen, mit denen das Schicksal den Leutnant Pirogow ausgestattet hatte. Er liebte es, über eine Schauspielerin oder Tänzerin zu sprechen, drückte sich aber dabei viel weniger scharf aus, als über dieses Thema junge Fähnriche gewöhnlich zu sprechen pflegen. Er war mit seinem Dienstrang, den er erst vor kurzem bekommen hatte, sehr zufrieden; er pflegte zwar manchmal, wenn er sich aufs Sofa legte, zu sagen: »Ach, ach, ach! Alles ist eitel, was ist denn dabei, daß ich Leutnant bin?« aber in seinem Inneren schmeichelte ihm doch seine neue Würde; beim Gespräch versuchte er oft wie nebenbei darauf anzuspielen, und als er einmal auf der Straße einem Regimentsschreiber begegnete, der ihm nicht höflich genug erschien, hielt er ihn sofort an und gab ihm in wenigen, aber eindringlichen Worten zu verstehen, daß er einen Leutnant und nicht etwa einen anderen Offizier vor sich habe. Er bemühte sich, dies besonders schön auszudrücken, da in diesem Augenblick gerade zwei gar nicht üble Damen vorbeigingen. Pirogow hatte überhaupt eine Leidenschaft für alles

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