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Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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arbeiten, du wirst, an meiner Seite sitzend, mich zur Arbeit begeistern und dabei sticken oder irgendeine andere Handarbeit machen – so werden wir keinen Mangel leiden.«
    »Unmöglich!« unterbrach sie ihn mit einem Ausdruck von Verachtung. »Ich bin keine Wäscherin und keine Näherin, daß ich arbeiten sollte.«
    Gott, in diesen Worten kam ihr ganzes gemeines, verächtliches Wesen zum Ausdruck, das Leben voller Leere und Müßiggang, diesen beiden getreuen Begleitern des Lasters.
    »Heiraten Sie doch mich!« rief mit frecher Miene ihre Freundin, die bisher in der Ecke geschwiegen hatte. »Wenn ich Ihre Frau geworden bin, so werde ich so sitzen!« Bei diesen Worten verzerrte sie ihr elendes Gesicht zu einer dummen Grimasse, die die Schöne zum Lachen brachte.
    Ach, das war schon zu viel! Das ging über seine Kraft! Er stürzte hinaus, als hätte er alle Gefühle und Gedanken verloren. Sein Verstand hatte sich getrübt: er irrte den ganzen Tag durch die Straßen, ohne Ziel, ohne etwas zu sehen, zu hören oder zu fühlen. Niemand wußte, ob er irgendwo übernachtet hatte oder nicht; von einem niedrigen Instinkt getrieben, kam er erst am nächsten Tag, blaß, in schrecklichem Zustande, mit zerzaustem Haar und mit dem Ausdruck von Wahnsinn im Gesicht in seine Wohnung zurück. Er schloß sich in sein Zimmer ein, ließ niemand herein und verlangte nichts.
    Es vergingen vier Tage, und die Türe seines Zimmers wurde noch immer nicht geöffnet; schließlich war eine ganze Woche vergangen, – das Zimmer blieb immer noch verschlossen. Man stürzte zu seiner Türe, man rief ihn, er gab aber keine Antwort; endlich brach man die Türe auf und fand seinen leblosen Körper mit durchschnittener Kehle. Ein blutiges Rasiermesser lag auf dem Boden. An den krampfhaft ausgestreckten Armen und dem schrecklich verzerrten Gesichtsausdruck konnte man erkennen, daß seine Hand gezittert und daß er sich noch lange gequält hatte, ehe seine sündige Seele seinen Leib verlassen.
    So ging das Opfer einer wahnsinnigen Leidenschaft, der arme Piskarjow zugrunde, der stille, schüchterne, bescheidene, kindlich einfältige Mensch, der in sich einen Funken von Talent trug, das sich vielleicht mit der Zeit zu einer großen und hellen Flamme entwickelt haben würde. Niemand beweinte ihn; niemand zeigte sich bei seiner entseelten Leiche, außer der gewöhnlichen Figur des Revieraufsehers und des gleichgültigen Polizeiarztes. Sein Sarg wurde in aller Stille, sogar ohne irgendwelche Riten, auf die Ochta geschafft. Hinter ihm folgend, weinte nur ein einziger Mensch, ein alter Soldat, und das auch nur, weil er ein Glas Branntwein zu viel getrunken hatte. Sogar der Leutnant Pirogow kam nicht, um die Leiche des Unglücklichen zu sehen, dem er bei Lebzeiten seine hohe Gunst erwiesen hatte. Übrigens hatte er ganz andere Dinge im Sinn: ihn beschäftigte ein außerordentliches Erlebnis. Wollen wir uns aber ihm zuwenden.
    Ich mag keine Leichen, und es ist mir immer unangenehm, wenn ich einem langen Leichenzuge begegne und ein alter, als eine Art Kapuziner verkleideter Soldat sich mit der linken Hand eine Prise nimmt, weil die Rechte die Fackel halten muß. Ich fühle immer Ärger, wenn ich einen reichen Katafalk und einen mit Samt überzogenen Sarg sehe; aber mein Ärger vermischt sich mit Trauer, wenn ich sehe, wie auf einem Lastfuhrwerke ein gewöhnlicher, ungestrichener und unbedeckter Sarg eines armen Mannes geführt wird, dem nur irgendein armes Bettelweib, das ihm an einer Wegkreuzung begegnet, folgt, weil sie nichts anderes zu tun hat.
    Ich glaube, wir haben den Leutnant Pirogow in dem Augenblick verlassen, wo er sich von dem armen Piskarjow trennte und der Blondine vor ihnen nacheilte. Diese Blondine war ein zierliches und recht interessantes kleines Geschöpf. Sie blieb vor jedem Laden stehen und betrachtete die ausgestellten Gürtel, Halstücher, Ohrringe, Handschuhe und andere Bagatellen, sie drehte sich ununterbrochen hin und her, blickte nach allen Seiten und auch zurück. ›Du meine Liebe!‹ sagte Pirogow, seiner selbst sicher, indem er die Verfolgung fortsetzte und das Gesicht mit dem Mantelkragen verdeckte, um nicht von einem seiner Bekannten gesehen zu werden. Aber es ist wohl nicht überflüssig, dem Leser zu melden, was für ein Mensch der Leutnant Pirogow war.
    Bevor wir erklären, was für ein Mensch der Leutnant Pirogow war, wollen wir einiges über die Gesellschaft sagen, zu der Pirogow gehörte.
    Es gibt Offiziere, die in

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