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Pfad der Seelen

Pfad der Seelen

Titel: Pfad der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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eine weitere Idee ausprobieren. Ich konnte bei diesem Experiment nicht Cecilia aufs Spiel setzen, sie war zu wertvoll. Zuerst würde Kauz es durchstehen müssen.
    Ich sagte: » Weshalb kniest du nicht vor mir, Kauz? Ich bin doch immerhin ein Lord des Hexenlands!«
    Hastig fiel er auf die Knie und murmelte Entschuldigungen, die ich nicht verstand.
    » Ich werde dich aus dem Hexenland freilassen«, sagte ich. » Komm näher.«
    Auf den Knien rückte der Seemann näher an mich heran, bis ich die weißen Schuppen in seinem fettigen Haar sehen konnte. Auch ich trat näher, und unsere Körper berührten sich.
    » Halt dich ganz ruhig, Kauz.«
    » Jawohl, Sir.« Seine Stimme bebte, aber er gehorchte.
    Ich schob die Hände unter seine Achselhöhlen und zog ihn an mich wie ein Kind oder einen Geliebten. Ich hielt ihn so dicht bei mir wie möglich. Dann wollte ich den Pfad der Seelen verlassen.
    Dreck in meinem Mund …
    Würmer in meinen Augen …
    Erde umfing meine fleischlosen Arme und Beine …
    Aber dieses Mal dauerte es immer weiter an. Ich war in der Mitte gefangen, auf immer und ewig in der Erde vergraben, und jenes andere Skelett war mit mir vergraben, schrie auf in meinem nicht mehr existenten Verstand … es dauerte und dauerte und dauerte …
    Und dann war ich durch, lag keuchend auf dem frischen Gras des Frühlings, und Kauz lag zu meinen Füßen ausgestreckt, heulend und entsetzt und lebendig.
    Ich brauchte lange, um wieder zu einem regelmäßigen Atemrhythmus zu finden, und Kauz brauchte noch länger. Während ich keuchte und pfiff, war das Einzige, woran ich denken konnte, Hyrgyll. An die Männer und Frauen in dem runden Steinraum, der mit Erde bedeckt war, die mir – dem hisaf – als grauer Nebel ins Land der Toten gefolgt waren. Sie hatten im Land der Toten nur als Lufthauch existiert, aber sie waren auch nicht richtig tot gewesen. Kauz auf der anderen Seite war ganz im Land der Toten gewesen, und nun war er ganz hier.
    Aber war er das wirklich?
    Sobald ich genug Luft und Verstand beisammen hatte – Schmutz in meinem Mund, Würmer in meinen Augen, Erde, die meine fleischlosen Arme und Beine umfing – untersuchte ich Kauz. Er war aufgesprungen, stand da und blickte sich wild um, keuchte in großen Schluchzern und schwenkte sein Messer, als er nach etwas Ausschau hielt, das er angreifen konnte. Ich sagte gebieterisch: » Es ist alles gut, Kauz. Ich habe dich aus dem Hexenland zurückgebracht. Knie dich hin!«
    Er tat es und wirkte erfreut darüber, einen klaren Befehl erhalten zu haben. Befehle waren etwas, das er verstehen konnte. Das traf auf nichts sonst zu. Auf den Knien hob er das Gesicht zu mir. » Kauz ist aus dem Hexenland gerettet?«
    » Ja. Ja.«
    Was mich überzeugte, war sein Geruch, so stark, dass ich zurückweichen musste. Im Land der Toten waren Gerüche nicht stark. Ich musste Cecilia schon in den Armen halten, ehe ich einen Hauch vom Duft ihres Haares erhaschen konnte. Aber nun stank Kauz nach Schweiß, Pisse, Schmutz und Meersalz, das auf seinen zerrissenen Kleidern getrocknet war. Er war eindeutig hier, befand sich körperlich im Land der Lebenden. Er war am Leben und stank zum Himmel.
    Auf einmal knickten meine Beine ein, und ich musste mich auf den Boden setzen. Kauz war am Leben. Und ich hatte das getan. Ich, Roger, der hisaf.
    » So ist es mit einem hisaf. So war es mit deinem Vater. Sonst könntest du es nicht sein.«
    Hätte mein Vater das tun können? Vielleicht war es das, was die Leute vom Seelenrankenmoor meinten, wenn sie vom » ewigen Leben« sprachen – dass man die Toten zurück ins Leben bringen konnte. Wenn mein Vater uns nicht verlassen hätte, bevor sie gestorben war, hätte er dann meine Mutter zurückbringen können? Und wenn er es hätte tun können, und sich dagegen entschieden hatte …
    Hass auf diesen unbekannten Mann brach aus mir hervor, und es war der Hass, der mir den Rest gab. Zu viel, zu schnell. Maggie, Kauz, Cecilia … Ich brach unbeherrscht in Tränen aus. Beschämt rollte ich mich zusammen, verbarg mein Gesicht und schluchzte wie der Sechsjährige, der ich gewesen war, als meine Mutter gestorben war. Ich weinte, und ich konnte nicht damit aufhören.
    Kauz kümmerte sich um mich. Er murmelte mir wortlos Trost zu und bedeckte mich mit seinem eigenen Umhang. Er fand irgendwo Wasser und holte mir ein paar Tropfen auf einem frischen Blatt. Er setzte sich neben mich, ein riesiger, stinkender Mann, und klopfte mir auf die Schulter, bis die Krämpfe

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