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Pfad der Seelen

Pfad der Seelen

Titel: Pfad der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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Oder Schlimmeres!«
    » Geht ins Bett, meine Lady. Ihre Gnaden wird Euch morgen brauchen.«
    » Ich …«
    » Gute Nacht, meine Lady.«
    » Gute Nacht.« Sie ging, und erst anschließend fiel mir auf, dass ich einer Hofdame Befehle erteilt hatte. Ich, der Narr der Königin.
    Niemand hatte daran gedacht, mir einen Platz zum Schlafen zuzuweisen. Ich fand die neue Audienzkammer der Königin, die nach dem Thronsaal regelrecht klein wirkte. Ich kannte den einzelnen Wächter, der in diesem Raum aufgestellt war. Er sah ernst aus und wollte keine meiner Fragen beantworten, aber er ließ mich in die verlassene äußere Kammer. Hier gab es keine Wache – ich nahm an, dass sie gebraucht wurden, um den Palast zu verteidigen, falls die Blauen angriffen.
    Es gab hier auch keinen Alkoven am Rande dieser Saales, der mit einem Vorhang abgetrennt war, aber ein großes Feuer hatte irgendwann während dieses schrecklichen Tages im Kamin gebrannt, und die Glut gab immer noch eine leichte Wärme ab. Ich rollte mich neben der Asche zusammen. Meine Zunge tat weh. Mein Arm tat weh. Mein Herz tat weh.
    Es dauerte lange, bis ich einschlafen konnte. Als es mir gelang, träumte ich, dass ich ins Seelenrankenmoor reiste. Es sah genauso aus wie das Land der Toten, und meine Mutter saß in ihrem violetten Kleid da, ruhig und reglos neben der alten, toten Königin.

17
    »Uns wird die Nahrung ausgehen.«
    » Die Armee hat alle Pferde mitgenommen.«
    » Sie werden uns alle auf einen Streich verbrennen, in einem riesigen Feuer, das alle Dorfbewohner sehen können.«
    » Die Diener werden das Essen vor uns verstecken.«
    » Wir werden Ratten essen müssen. Das haben sie früher während Belagerungen getan.«
    » Sie werden die Stadt einnehmen und uns als Verräter verbrennen …«
    Die Hofdamen und Höflinge flüsterten einander zu. Es gab jetzt keine Tänze, keine Spiele, keine Tändeleien. Die blaue Armee lagerte an beiden Flussufern. So behaupteten es zumindest jene, die die Stufen zu den zugigen Wällen der Stadtmauern hinaufgestiegen waren. Weiter unten machte ich der Königin die Aufwartung. Sie verbrachte den ganzen Morgen mit ihren Ratgebern, und den ganzen Nachmittag ging sie im Palast umher.
    » Es gibt kein Fleisch mehr in den Küchen«, flüsterten die Leute einander zu.
    » Die Diener horten das Essen irgendwo.«
    » Meine Mutter wird schon verzweifelt auf Neuigkeiten von mir warten; sie ist allein auf dem Landsitz …«
    » Mein Vater …«
    » Mein Sohn und seine Familie …«
    » Bei lebendigem Leib verbrennen …«
    » Kein Obst mehr …«
    Nur die Königin blieb gelassen. Sie ließ die Nahrungsmittel nicht rationieren, die in den Vorratskammern, den Weizenlagern und Kellern verblieben waren. Keine weiteren Barken kamen zu den Anlegestellen bei der Küche, und im Frühling gab es immer wenig zu essen, weil über den Winter alles verbraucht worden war. Am fünften Tag der Belagerung aßen wir Brot und Käse und Bier, aber wir aßen ausreichend. Niemand verstand das, am wenigsten ich. Weshalb wollte die Königin die verbleibende Nahrung nicht einteilen? Sie würde uns früh genug ausgehen, denn natürlich würden die Diener einen Teil davon verstecken, um nicht zu verhungern. Ich hätte es getan. Ich hoffte, dass Maggie es tat.
    Zu diesem Zeitpunkt sah ich zum ersten Mal die Keller und alle anderen Orte des Palastes. Ich begleitete die Königin jeden Nachmittag. » Halte die Augen offen, Roger«, sagte sie zu mir. » Vergiss nichts. Ich weiß nicht, was du in Zukunft vielleicht tun musst.« Sie hatte von der Forderung abgelassen, dass ich als Narr auftrat oder geistreiche Bemerkungen machte. Das war gut, denn mich hatte jeglicher Witz verlassen.
    Wo auch immer wir hingingen, lächelte die Königin ihren neuen Untertanen zu. Großartig gekleidet und von einer Garde aus stattlichen Grünen begleitet, musterte sie sie und ließ sie ohne Worte wissen, dass sie jetzt hier herrschte. Wir gingen in die Gästezimmer. Die Wäschereien. Die Küchen. Die Wachräume und Ställe und Säle der Bediensteten, von denen es mehr gab, als ich geahnt hatte. In die Gemächer der Höflinge. Trotz der Belagerung waren Steinmetze ausgesandt worden, die im Palast arbeiteten, um die blauen Kacheln in den königlichen Höfen abzureißen und sie durch grüne zu ersetzen. Als ihnen die grünen Kacheln ausgingen, füllten sie sie mit weißen oder cremefarbenen auf und schufen ausgeklügelte Muster. In den Wäschereien wurde blauer Stoff grün gefärbt: Bettbezüge,

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