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Pfad der Seelen

Pfad der Seelen

Titel: Pfad der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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Tischdecken, Livreen, Kissen, Satteldecken. Näherinnen arbeiteten fiebernd daran, genug smaragdfarbene Hemden, Kleider und Wämser zu machen. Im königlichen Speisesaal waren sogar die blauen Glasteller, die aus irgendeinem fernen Land hergebracht worden waren, in Stroh gepackt und durch zarte weiße Teller ersetzt worden, die mit anmutigen grünen Ranken verziert waren. Die Königin, gnädig und lächelnd und niemals müde, beaufsichtigte alles, und ich begleitete sie.
    Wir gingen auch in die königlichen Kindergemächer, wo ich zum ersten Mal die Erbin der Königin sah, die dreijährige Prinzessin Stephanie, zusammen mit ihrem sechsjährigen Bruder. Der ältere Sohn der Königin, Prinz Percy, war während des Winters fortgeschickt worden, um Page im Haus eines grünen Adligen zu sein, wie es dem Brauch entsprach. Die kleine Prinzessin war dünn und blass; sie wirkte nicht stark. Ein ernstes, grauäugiges Kind ohne die Schönheit seiner Mutter, das das lange Gesicht und breite Kinn der Großmutter geerbt hatte. Tatsächlich sah sie der toten Königin sehr ähnlich, und das überraschte mich. Was mochte Königin Caroline davon halten? Ich konnte es nicht sagen. Sie küsste ihre Kinder, hielt sie, spielte mit ihnen, und ich konnte nicht erkennen, ob es ehrliche Mutterliebe war, oder die Achtung, die ein Meister im Schach vor seinen Bauern empfand.
    Ich konnte nicht herausfinden, was die Königin wirklich dachte. Sie war so widersprüchlich wie eh und je: ernst angesichts des Bürgerkriegs, der Belagerung, des Verhungerns. Mit Berechnung im Blick, wenn sie ihr neues Reich abschätzte. Freundlich zu allen im Palast, zu all jenen entsetzten Dienern, die sich tief und ehrerbietig verbeugten, auch wenn sie vermutlich glaubten, dass sie ihre Herrscherin vergiftet hatte. Der einzige Ort, an den ich mit Königin Caroline nicht ging, war der Kerker, falls es einen gab. Und wenn nicht, wo waren dann all die Ratgeber und Soldaten, die sich geweigert hatten, den Treueeid zu schwören? Waren sie schon im Land der Toten?
    Nein, ich verstand die Königin nicht. Sie war schön, grausam, freundlich, ehrgeizig – und vor allem anderen ruhig. Selbst als das Essen ausging und die blaue Armee an beiden Ufern des Flusses aufzog und die Hofdamen der Königin entsetzt flüsterten.
    » … uns aushungern …«
    » … uns alle verbrennen …«
    » Was macht sie nur?«
    Dann, am sechsten Tag, stieß Lord Robert auf unserem nachmittäglichen Rundgang zu uns. Wir überquerten gerade einen herrlichen Hof, größer als die meisten anderen, mit drei runden Blumenrabatten. Winzige grüne Schösslinge drangen durch die schwarze Erde der Beete. Die Luft war mild und süß. Die Königin hatte ihre Pelze abgelegt, und ich meinen Kapuzenumhang. Mein Gesicht hatte ich erst diesen Morgen frisch gelb gefärbt; mein Witz wurde zwar nicht mehr benötigt, aber mein Äußeres als Narr der Königin durchaus. Lord Robert war voll gerüstet.
    Er kniete sich hin, erhob sich wieder und sagte einfach: » Sie sind hier.«
    Sie fragte scharf: » Wo?«
    » In Sichtweite des Palastes offenbar, da der Ausguck am Turm sie gesehen hat. Woher sollte ich es sonst wissen?«
    » Sprecht nicht in diesem Ton mit mir, mein Lord!«
    » Ich bitte Euer Gnaden um Verzeihung.«
    Spannung knisterte wie Hitze zwischen ihnen.
    Er sagte: » Euer Gnaden, dürfte ich …«
    » Nein. Ihr dürft nicht. Ich brauche Euch hier.«
    » Euer Gnaden, ich bin der Befehlshaber der Armee! Mein Platz ist dort draußen, als Anführer!«
    » Niemand kann › dort draußen‹ sein, bevor die Belagerung nicht beendet ist – das wisst Ihr. Und Euer Platz ist an meiner Seite. Geht und beobachtet vom Turm aus, und berichtet mir von der Schlacht.«
    Schlacht? Was für eine Schlacht? Was geschah?
    Lord Robert verbeugte sich steif und schritt von dannen.
    » Komm, Roger«, sagte die Königin. » Wir kehren in meine Gemächer zurück.«
    » Euer Gnaden …«
    » Ja? Was ist?« Sie ging so rasch, dass jene, an denen wir vorüberkamen, kaum die Zeit hatten, auf die Knie zu fallen.
    » Ihr habt › Berichtet von der Schlacht‹ gesagt. Wer kämpft vor dem Palast?«
    Sie warf mir einen Blick zu, ohne langsamer zu werden. » Was glaubst du denn, wer kämpft?«
    Ich hatte diese Unterhaltung begonnen; ich musste sie auch beenden. » Nicht unsere Grünen gegen die Blauen; wir haben nicht genug Soldaten. Also …«
    » Ja?« Wir betraten die äußere Kammer, und die Hofdamen der Königin sanken in Seen aus grüner Seide

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