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Pfad der Seelen

Pfad der Seelen

Titel: Pfad der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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wartete.
    Ich wurde ganz steif, wie ich da auf den Stufen des Podiums hingekauert saß. Cecilias Kleid schwang flüsternd hin und her; sie trat von einem kleinen Fuß auf den anderen. Schließlich wurde die Tür aufgerissen, und Lord Robert schritt in voller Rüstung in den Saal. Die Rüstung wirkte genauso wie Lord Robert selbst sauber und unbenutzt, ganz und gar nicht, als hätte er in einer Schlacht gekämpft. Es schien ewig zu dauern, bis er den weitläufigen Raum durchquert hatte. Seine Stiefel klangen laut auf dem Steinboden, das war das einzige Geräusch. Königin Caroline erhob sich halb, dann sank sie wieder auf ihren Thron zurück, königlich und herrschaftlich. Lord Robert kniete sich nieder.
    » Erhebt Euch.«
    » Euer Gnaden … Es ist, wie Ihr es vorhergesagt habt. Das Land rund um die Insel ist unser. Die Blauen sind nach einem nur kurzen Kampf zurückgewichen, und die anderen stehen an der westlichen Brücke.«
    Sie bewegte sich weder, noch sagte sie etwas, aber etwas ging flackernd von ihr aus, wie unsichtbare Blitze.
    » Es ist meine Pflicht als Befehlshaber«, fuhr Lord Robert fort, » Euch mitzuteilen, dass dieser Rückzug der Blauen nur vorübergehend ist. Ihre Armee ist überrascht und verwirrt, und sie haben bei Scharmützeln an den Brücken Soldaten verloren. Aber der Großteil der blauen Armee war nicht anwesend, und sie werden sich wieder sammeln und die Belagerung fortsetzen. Die anderen hereinzulassen …«
    » Lasst sie herein«, sagte sie. » Öffnet die Westtore der Stadt und des Palastes.«
    Lord Robert schnippte mit den Fingern. Ein Bote machte sich eiligst auf den Weg – er rannte aus dem Thronsaal, den Rücken der Königin zugewandt! Sie sagte jedoch nichts, und ihre Augen glitzerten so hell wie ihre Krone. Lord Robert kam näher, um sich zu den Ratgebern zu stellen. Er sah seltsam dort aus, ein gerüsteter Soldat auf der Höhe seiner Manneskraft inmitten der alten Männer in ihren grünen Roben. Ich sah, wie sich seine großen, harten Hände zu Fäusten ballten.
    Ich war verwirrt – das westliche Tor? Königin Isabelles Armee wäre aus dem Norden herbeimarschiert. Im Westen lagen nur die Dörfer des Landesinneren, bis sich die hohen, zerklüfteten Berge auftürmten. Wenn es jenseits dieser Berge Königinnenreiche gab, hatte ich bisher noch nicht einmal ihre Namen gehört. Aber ich erinnerte mich an all die Fremden, die in den langen Wochen, ehe die alte Königin gestorben war, in den früheren Gemächern von Königin Caroline ein und aus gegangen waren. Sie hatten alle ausgesehen, als wären sie lange geritten, obwohl einige davon – eindeutig Höflinge – kaum mehr als Jungen gewesen waren …
    Es war ein Junge, der den Thronsaal als Erster betrat.
    Er ging, nicht älter als ich, allein durch den weiten, leeren Raum, den Kopf hoch erhoben. Niemand sprach oder regte sich, niemand schien überhaupt zu atmen – das einzige Geräusch waren die Stiefel des Jungen, die auf den Steinboden hämmerten. Schwere Stiefel, mit seltsamen Metallkappen auf den Spitzen. Er trug keinen Umhang – außer, er hatte ihn vor dem Saal abgelegt –, nur ein Hemd und Hosen aus rauem, braunem Stoff, und auf seinem Kopf einen Kranz aus toten Zweigen, als wolle er einen Blumenkranz nachäffen, den ein Mädchen am Mittsommertag tragen mochte. Er hatte kein Schwert und keine andere Waffe. Als er sich dem Thron näherte, konnten wir alle sehen, dass er auf der Stirn seltsame Zeichen aus roter Farbe hatte.
    Er kam bis an den Fuß der Steintreppe, und er kniete sich nicht nieder.
    Ein Murmeln lief durch die Höflinge wie Wind durch ein Weizenfeld. Der Junge wandte sich ihnen zu. Lady Cecilia, die ihm am nächsten stand, zog sich zurück, und ich spürte, wie sich meine Muskeln anspannten, bereit vorzuspringen, wenn er sie berühren sollte. Aber stattdessen drehte er sich um, ging zur linken Seite des Podiums und wandte sich vom Thron ab. Er fing an zu singen.
    Seine Stimme erfüllte den ganzen Saal. Mächtig, süß und trotzdem kehlig, schien das Lied mit seinen fremden Worten bis zur gewölbten Decke anzuschwellen.
    Ay-la ay-la mechel ah!
    Ay-la ay-la mechel ah!
    Bee-la kor-so tarel ah!
    Ay-la ay-la mechel ah!
    Nun erschienen zwei weitere Gestalten im Eingang, und sie waren keine Jungen, sondern Männer. Krieger. Sie trugen Hemden aus irgendeinem zottigen Pelz, Stiefel mit metallenen Kappen und Helme, die von Flügeln gekrönt waren. Jeder der Männer trug einen Knüppel, im Umfang so dick wie mein Bein,

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