Pfade Ins Zwielicht
auf Selucias Gesicht konzentrieren können, nachdem sie einen Blick auf ihren eindrucksvollen Busen geworfen hatten. Mat hätte den Anblick gern selbst für kurze Zeit genossen, aber da war Tuon, die auf dem einzigen Stuhl des Wagens saß, ein in Leder gebundenes, aufgeschlagenes Buch auf dem Schoß, und er konnte sich kaum dazu überwinden, woanders hinzuschauen. Seine zukünftige Gemahlin. Beim Licht!
Tuon war winzig, nicht nur klein, sondern auch noch fast so schlank wie ein Junge, und das lose sitzende braune Wollkleid, ausgeliehen von einer Artistin, ließ sie wie ein Kind aussehen, das die Kleider seiner älteren Schwester auftrug. Nicht im mindesten die Sorte von Frau, die er bevorzugte, vor allem mit den seit ein paar Tagen sprießenden schwarzen Haarstoppeln, die ihren Kopf bedeckten. Wenn man das ignorierte, war sie auf eine zurückgenommene Art und Weise durchaus hübsch zu nennen; sie hatte ein herzförmiges Gesicht mit vollen Lippen, und ihre dunklen Augen waren wie ruhige Teiche. Diese absolute Ruhe machte ihn beinahe nervös. Nicht einmal eine Aes Sedai wäre in ihrer Lage so gelassen gewesen. Die verdammten Würfel in seinem Kopf waren auch keine Hilfe.
»Setalle hat mich auf dem Laufenden gehalten«, sagte sie kühl, als er die Tür schloss. Mittlerweile konnte er Unterschiede in seanchanischen Akzenten erkennen; Tuon ließ Egeanin klingen, als hätte sie den Mund voll Brei, aber sie alle klangen langsam und verwaschen. »Sie hat mir die Geschichte erzählt, die Ihr über mich verbreitet habt, Spielzeug.« Tuon hatte im Tarasin-Palast angefangen, ihn so zu nennen. Damals hatte es ihn nicht gestört. Jedenfalls nicht besonders.
»Mein Name ist Mat«, fing er an. Er vermochte nicht zu sagen, wo die Tasse in ihrer Hand hergekommen war, aber er konnte sich noch rechtzeitig zu Boden werfen, damit sie die Tür statt seinen Kopf traf.
»Bin ich eine Dienerin, Spielzeug?« War Tuons Tonfall zuvor kühl gewesen, war er jetzt so hart wie Eis. Ihr Gesichtsausdruck hätte einen Richter, der gerade eine Todesstrafe verhängte, fröhlich aussehen lassen.
»Eine diebische Dienerin?« Das Buch rutschte von ihrem Schoß, als sie aufstand und sich bückte, um den weißen Nachttopf mit Deckel zu ergreifen. »Eine treulose Dienerin?«
»Den brauchen wir noch«, sagte Selucia bedächtig und nahm Tuon das bauchige Gefäß aus den Händen.
Sie stellte es vorsichtig auf der Seite ab und hockte geduckt zu Tuons Füßen, so als wäre sie bereit, sich selbst auf Mat zu werfen, so lächerlich diese Vorstellung auch war. Obwohl im Augenblick eigentlich nichts lächerlich war.
Frau Anan griff nach einem der mit einer Holzstange gesicherten Regalbretter über ihrem Kopf und reichte Tuon eine weitere Tasse. »Davon haben wir genug«, murmelte sie.
Mat warf ihr einen wütenden Blick zu, aber in ihren haselnussbraunen Augen funkelte es amüsiert. Amüsiert! Sie sollte die beiden bewachen\ Eine Faust pochte an die Tür. »Braucht Ihr Hilfe?«, rief Harnan unsicher. Mat fragte sich, wen er wohl meinte.
»Wir haben hier alles im Griff«, rief Setalle zurück und stieß ruhig ihre Nadel durch den auf dem Stickrahmen aufgespannten Stoff. Man hätte glauben können, die Stickarbeit sei die wichtigste Sache auf der Welt. »Macht mit eurer Arbeit weiter. Trödelt nicht herum.« Die Frau war keine Ebou Dari, aber sie hatte deren Art offensichtlich in sich aufgesogen. Einen Augenblick später polterten draußen Stiefel die Treppe hinunter. Anscheinend hatte sich auch Harnan zu lange in Ebou Dar aufgehalten.
Tuon drehte die neue Tasse in ihrer Hand, als wollte sie die aufgemalten Blumen studieren, und ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das so kurz währte, dass Mat beinahe glaubte, es sich nur eingebildet zu haben. Sie war mehr als nur hübsch, wenn sie lächelte, aber es war eines jener Lächeln, das besagte, dass sie Dinge wusste, die ihm unbekannt waren. Wenn sie so weitermachte, würde er einen Schluckauf bekommen.
»Man wird mich nicht für eine Dienerin halten, Spielzeug.«
»Mein Name ist Mat, nicht ... diese andere Sache«, sagte er, stellte sich auf die Füße und belastete vorsichtig seine Hüfte. Überraschenderweise schmerzte sie nach der Bekanntschaft mit dem Boden nicht stärker. Tuon hob eine Braue und wog die Tasse in der Hand.
»Ich konnte den Zirkusleuten ja wohl kaum sagen, dass ich die Tochter der Neun Monde entführt habe«, sagte er verzweifelt.
»Die Hochlady Tuon, Bauer!«, sagte Selucia
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