Pfade Ins Zwielicht
entschieden. »Sie ist unter dem Schleier!« Schleier? Tuon hatte im Palast einen Schleier getragen, jetzt aber nicht.
Die kleine Frau machte eine anmutige Geste, eine Königin, die eine Gnade erwies. »Das ist nicht von Bedeutung, Selucia. Er ist unwissend. Noch. Wir müssen ihn unterrichten. Aber Ihr werdet diese Geschichte ändern, Spielzeug. Ich werde keine Dienerin sein.«
»Es ist zu spät, um etwas zu ändern«, sagte Mat und behielt die Tasse im Auge. Ihre Hände sahen zerbrechlich aus, jetzt, da die langen Fingernägel kurz geschnitten waren, aber er erinnerte sich, wie schnell sie sein konnten. »Niemand hat von Euch verlangt, als Dienerin zu arbeiten.« Luca und seine Frau kannten die Wahrheit, aber es war eine Erklärung erforderlich gewesen, warum Tuon und Selucia in diesem Wagen eingesperrt worden waren und unter Bewachung standen. Die perfekte Lösung war die Geschichte von zwei Dienerinnen gewesen, die wegen Diebstahls entlassen werden sollten und die Flucht ihrer Herrin mit ihrem Liebhaber verraten wollten. Für Mat hatte das perfekt geklungen. Für das Zirkusvolk machte es die Sache nur noch romantischer. Er hatte befürchtet, Egeanin würde ihre Zunge verschlucken, als er es Luca erklärte. Vielleicht hatte sie ja gewusst, wie Tuon das aufnehmen würde. Beim Licht, fast wünschte er, die Würfel würden verstummen. Wie sollte ein Mann mit so etwas im Kopf nachdenken können?
»Ich konnte Euch nicht zurücklassen, damit Ihr Alarm schlagt«, fuhr er geduldig fort. Das stimmte auch, gewissermaßen. »Ich weiß, dass Frau Anan es Euch erklärt hat.« Er dachte daran zu erklären, dass ihn seine blankliegenden Nerven zu der Behauptung veranlasst hatten, sie sei seine Frau - sie musste ihn für völlig verrückt halten! -, aber es schien am besten, das gar nicht mehr zu erwähnen. Wenn sie die Sache auf sich beruhen ließ, umso besser. »Ich weiß, dass sie es Euch bereits gesagt hat, aber ich verspreche, dass Euch keiner etwas antun wird. Wir sind nicht auf Lösegeld aus, wir wollen nur unsere Köpfe auf den Schultern behalten. Sobald ich weiß, wie ich Euch unversehrt nach Hause zurückschicken kann, werde ich das tun. Das verspreche ich Euch. Bis dahin werde ich es Euch so bequem machen, wie es mir möglich ist. Ihr werdet Euch nur mit dem anderen abfinden müssen.«
Tuons große dunkle Augen funkelten, ein Wärmegewitter am Nachthimmel, aber sie sagte: »Es hat den Anschein, als musste ich abwarten, was Eure Versprechungen wert sind, Spielzeug.« Zu ihren Füßen fauchte Selucia wie eine nass gespritzte Katze und drehte den Kopf, als wollte sie widersprechen, aber Tuon gestikulierte mit der linken Hand, und die Frau mit den blauen Augen errötete und verstummte. Manchmal benutzte das Blut etwas Ähnliches wie die Aiel-Handsprache bei ihren hochrangigen Dienern. Mat wünschte sich, er könnte die Signale verstehen.
»Beantwortet mir eine Frage, Tuon«, sagte er.
Er glaubte, Setalle »Narr« murmeln zu hören. Selucia biss die Zähne zusammen, und in Tuons Augen funkelte es gefährlich, aber wenn sie ihn weiterhin »Spielzeug« nannte, wollte er verdammt sein, wenn er ihr ihre Titel zugestand.
»Wie alt seid Ihr?« Er hatte gehört, dass sie nur wenige Jahre jünger als er war, aber wenn er sie in diesem Sack von Kleid ansah, erschien das unmöglich.
Zu seiner Überraschung entzündete sich das gefährliche Funkeln zu einer Flamme. Diesmal war es nicht nur ein Wärmegewitter. Er hätte auf der Stelle geröstet werden müssen. Tuon warf die Schultern zurück und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. So hoch das auch sein mochte: er bezweifelte, dass sie auf mehr als fünf Fuß kam, selbst wenn sie sich streckte. »Mein vierzehnter Wahrer -Namensgebungstag ist in fünf Monaten«, sagte sie mit einer Stimme, die alles andere als kalt war. Tatsächlich hätte sie den Wagen besser als der Ofen heizen können. Er verspürte einen Augenblick der Hoffnung, aber sie war noch nicht fertig. »Nein, ihr pflegt eure Geburtsnamen zu behalten, nicht wahr?
Das wird mein zwanzigster Namensgebungstag sein.
Seid Ihr zufrieden, Spielzeug? Habt Ihr befürchtet, Ihr hättet ein ... Kind entführt?« Die letzten Worte zischte sie förmlich.
Mat fuchtelte mit beiden Händen, um diese Vorstellung hektisch zu entkräften. Wenn eine Frau anfing, einen wie ein Teekessel anzufauchen, fand ein Mann, der auch nur einen Funken Verstand sein eigen nannte, ganz schnell einen Weg, sie wieder abzukühlen. Sie hielt die
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