Pfefferbeißer - Harz Krimi
wirkte heute grenzwertig: Rasiert hatte er sich nicht, das Hemd war
ungebügelt mit labbrigem Kragen, die Ärmel aufgekrempelt, als wäre er von einem
Rohrbruch überrascht worden. Sonst undenkbar bei ihm. Sina fielen auch die rot
unterlaufenen Augen auf. Geschlafen hatte er also auch nicht.
»Gibt es etwas, das ich noch nicht weiß?«, ließ er jetzt in dem anmaßenden
Ton vernehmen, der bei den Kollegen so besonders gut ankam.
»Ich habe noch einen weiteren Zeugen vernommen, Heinz«, sagte Sina.
»Und warum erfahre ich erst jetzt davon?«
»Weil ich noch keinen Bericht geschrieben habe.«
Sollte er es nur wagen, sie anzumachen. Sie hätte die passenden
Antworten parat.
Doch Keilberth reagierte überraschend anders.
»Vielleicht fasst du eben kurz zusammen, was es gebracht hat«, sagte
er, und der Dampf schien durch seine Ohren zur Decke abzuziehen. Er faltete die
schwarz behaarten Hände auf der Platte seines Schreibtisches und stellte, wie
verwandelt, eine andächtig lauschende Haltung zur Schau, die an einen Gläubigen
in der Messe erinnerte. Verrückt, dachte Sina, was stimmt bloß nicht mit ihm?
Sie fasste die Befragung von Sibylla Greiner zusammen.
»… an dem Abend, bevor Auseklis verschwand, hat er sich in der
Schilderstraße nicht blicken lassen«, sagte sie am Schluss.
»Hat die Dame dafür Zeugen?«, fragte Keilberth.
»Nein. Sie hat allein auf ihn gewartet. Kommt aber als Täterin kaum
in Frage. Es fehlt schlicht das Motiv.«
»Vorläufig scheint es so«, verbesserte Keilberth, setzte seine
Lesebrille auf die Nase und blätterte in den Berichten. »Bei der Durchsuchung
in Hotel und Gaststätte wurden überall Spuren von Janis Auseklis gefunden,
außer in Krögers BMW und in Kröger juniors Opel.
Das heißt nicht, dass sie ihn nicht umgebracht haben können. Für mich bedeutet
das lediglich, dass die Wahrscheinlichkeit schwindet, dass die Leiche mit
diesen Wagen transportiert wurde, schließt es aber auch nicht ganz aus. Nur
eins ist überraschend: Allein im Schlafzimmer von Milda und Janis Auseklis
wurden Blutspuren des Ermordeten gefunden.«
Niebuhr starrte den Kriminalrat ungläubig an.
Der Topf, dachte Sina.
»Vielleicht hat Sibylla Greiner richtig vermutet, und die beiden hatten
eine tätliche Auseinandersetzung. Nachdem Milda von Dominik Kröger erfahren
hatte, dass Janis fremdging, hat sie ihn vielleicht zur Rede gestellt.«
»Und dabei hat sie absichtlich oder aus Versehen ihren Mann
umgebracht«, setzte Keilberth das Szenario fort, ohne zu ahnen, wen er da auf
den Plan rief.
»Das ist doch an den Haaren herbeigezogen«, brauste Niebuhr auf.
»Milda … äh, ich meine, Frau Auseklis hat ihren Mann doch abgöttisch
geliebt.«
»Gerade deswegen, Kollege, gerade deswegen«, entgegnete Keilberth
und holte tief Luft.
***
Sina hing die letzte Szene mit Keilberth noch nach.
Als Niebuhr von abgöttischer Liebe gesprochen hatte, meinte sie, in
Keilberths Augen einen feuchten Schimmer bemerkt zu haben. Und noch etwas war
ihr aufgefallen. Keilberth, der unsentimentale Keilberth, der Privates nicht
gerne im Dienst sah, dieser Keilberth hatte sich ein Foto im Silberrahmen auf
seinen Schreibtisch gestellt. Sie hatte nicht erkennen können, wer darauf
abgebildet war, aber unzweifelhaft bedeutete ihm diese Person sehr viel. Ein
Todesfall? Das würde auch erklären, warum er so überdimensional gereizt am
Telefon reagiert hatte. Doch davon hätte Sina gewusst, das hätte sich längst
wie ein Buschfeuer durch die Flure gebrannt.
»Ich glaube das einfach nicht. Milda ist zu so etwas nicht fähig.«
»Ach Jens«, stöhnte Sina und hatte langsam das Gefühl, dass Niebuhr
vorsätzlich alle Erfahrungen, die er in den Jahren bei der Kripo gesammelt
hatte, über Bord warf.
Sie fuhren im blauen Dienstwagen in Richtung Krankenhaus.
Dr. Mechthild Eckartz, die lange Psychologin, hatte schon auf sie
gewartet. Sie blätterte mit ihren knochigen Fingern in der Krankenakte.
»Was macht unser Sorgenfall?«, fragte Sina.
»Ich habe das Gefühl, dass es ihr allmählich besser geht, auch wenn
sie mich immer noch nicht an sich heranlässt. Sie steht weiter unter
Beruhigungsmitteln und schläft viel.«
»Guten Morgen, Milda«, sagte Sina, als sie den Raum betraten.
Milda saß auf ihrem Stuhl am Fenster mit dem Rücken zur Tür.
»Guten Morgen.«
Immerhin antwortete sie. Offenbar ging es ihr wirklich besser. Niebuhr
überfiel wieder diese eigenartige Zurückhaltung, als wollte er mit der
Befragung
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