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Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman

Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman

Titel: Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carin Gerhardsen
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freundlicher Menschen mit einem warmen Lächeln und großen weichen, farbenfrohen Kissen auf ihren Sofas.
    Heute war er auf der Arbeit tatsächlich fast zu einem Stück Torte eingeladen worden. So etwas kam selten vor, denn in der Poststelle gab es eigentlich nie einen Anlass zum Feiern. Er hielt sich ja schließlich auch immer nur ein paar Minuten dort auf. Wenn er die neue, sortierte Post abholte, die in andere Abteilungen gebracht werden sollte.
    Als er die Poststelle an diesem Tag um elf Uhr betrat, saßen alle zusammen und aßen Torte. Den Anlass dafür kannte er nicht. Er war nicht besonders glücklich darüber, dass er die Post ausgerechnet um elf abliefern sollte, denn um diese Zeit saßen sie immer da und machten ihre Kaffeepause. Dann konnten sie ihn beobachten, wenn er in seiner Poststellenuniform hereinkam. Uniform war eigentlich ein zu großes Wort für eine blaue Hose mit blauer Jacke. Er war der Einzige hier, der diese Kleidung trug, die er selbst lächerlich fand. Es war niemals gut aufzufallen.
    Und er fiel ihnen sofort auf, genauer gesagt, einer von ihnen bemerkte ihn. Ein Spaßvogel, der ständig Scherze machte und zu allem eine Meinung hatte. Die anderen lachten über seine Scherze und schienen seine Ansichten zu teilen, denn niemand widersprach ihm. »Hallo, Postbote!«, hatte er ihm vom Kaffeetisch aus zugerufen, mit vor der Brust verschränkten Armen und unter dem Tisch ausgestreckten Beinen. »Möchtest du ein Stück Torte?« Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr er fort: »Dann schwing dich auf dein Laufrad und hol endlich diesen TX -Schaltplan. Hatte ich den nicht schon gestern oder vorgestern angefordert? Seid ihr auf der Poststelle alle so zurückgeblieben, oder nur du?« Alle anderen am Tisch lachten. Und sei es auch nur aus alter Gewohnheit. Also hatte er auch kein Stück Torte bekommen. Aber schließlich war er einfach nicht befugt, für irgendwelche Leute Botengänge zu erledigen. Sein Auftrag war es, die Post auszutragen, die ihm zugeteilt wurde.

    Zurückgeblieben war er nicht. Er hatte zwar keine Ausbildung, aber er las eine ganze Menge, Zeitschriften und Literatur. Man konnte ihn wohl kaum als normal begabt bezeichnen, aber zurückgeblieben war er nicht. In den ersten Schuljahren war er sogar ein guter Schüler gewesen, aber nur zu Anfang. In Katrineholm war man kein guter Schüler, das war absolut verboten. Genau genommen durfte man in dieser Schule überhaupt nicht gut sein, außer beim Fußball oder Bandy. Da gab es ungeschriebene Gesetze, die regelten, in welchen Fächern man gut (Sport) oder schlecht (Musik, Sprachen, textiles Gestalten, Betragen) oder eben mittelmäßig (alle anderen Fächer) zu sein hatte. Sie regelten auch, welche Kleidung man tragen sollte (gekaufte Kleidung der richtigen Marken) und welche nicht (Mütze, Brille, Selbstgenähtes), wo man wohnen durfte (Mietshaus), welcher politischen Einstellung man anzuhängen hatte (sozialdemokratisch, auf gar keinen Fall kommunistisch) und welche Bandymannschaft es anzufeuern galt ( KSK , nicht Värmbol). Vor allen Dingen aber durfte man in keinerlei Weise herausragen oder irgendwie anders sein.
    Hier, in Stockholm, für einen erwachsenen Mann, galten natürlich andere Gesetze. Hier wurde selbstständiges Denken geschätzt, und ein auffallendes Äußeres war oft sogar von Vorteil. Vor allen Dingen brauchte man eine Ausbildung und ein starkes Selbstvertrauen.
    Diesen Ansprüchen konnte er kaum gerecht werden. Seine Mutter war gestorben, als er noch sehr klein war, und sein Vater hatte in einer Druckerei im Schichtdienst gearbeitet, und so war für seinen Sohn nicht besonders viel Zeit übrig geblieben. Doch, er war ein liebevoller Vater gewesen, hatte aber keine Ahnung gehabt, wie man einen Haushalt führt oder ein Kind großzieht. Nach jahrzehntelangem Kettenrauchen war auch er einem allzu frühen Tod entgegengegangen.
    Er selbst war schon immer anders gewesen, ohne sich je darüber klar geworden zu sein in welcher Weise. Gut, er hatte von Beginn an den falschen Dialekt gesprochen, weil er seine ersten Lebensjahre unten in Huskvarna verbracht hatte, und eine Mütze musste er nun einmal tragen, aber trotzdem – der entscheidende Unterschied musste woanders gelegen haben. Ganz bestimmt war damals schon irgendetwas an seiner Persönlichkeit sonderbar gewesen. Als ganz kleiner Junge war er noch offen und fröhlich gewesen. Er war gerne unter Menschen gewesen, hatte aber früh gelernt, dass die Menschen ihn nicht in der

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