Pferdesommer mit Lara
Höflichkeit oder vielleicht aus Unsicherheit.
»War sie älter als du?«, fragte er schließlich.
»Nein. Wir sind … wir waren Zwillinge.«
»Zwillinge! Dann seid ihr euch sicher sehr nahe gewesen. Zwillinge sollen besonders stark verbunden sein, heißt es immer.«
»Das schon. Aber wir waren zweieiige Zwillinge. Im Grunde sind wir sogar total verschieden gewesen - wie Feuer und Wasser, hat unser Großvater immer gesagt.«
»Dann bist du wohl das Wasser?« Arne sah mich an und die Spur eines Lächelns stand in seinen Augen.
»Du hast’s erraten.«
»Das war keine besonders knifflige Denkaufgabe.«
Arne war der Erste, mit dem ich über Ronja reden konnte, ohne dass ich für den Rest des Tages in einer schwarzen Wolke verschwand. Sicher hatte es auch damit zu tun, dass ich so gespannt auf die kommenden Stunden war, auf Lara, auf Dr. Jansens Urteil. Morgen um diese Zeit würde ich mehr wissen; morgen war ich vielleicht schon »virtuelle Pferdebesitzerin« …
Wir kamen mit fünfundzwanzig Minuten Verspätung in der Stadt an, in der Arne früher gelebt hatte, und mussten in wildem Galopp ein paar Straßen entlanglaufen und zwei Kreuzungen überqueren, um einen bestimmten Bus zu erreichen.
Ein großer, knochiger Mann mit graublonden Haaren erwartete uns am Eingang der Reitschule. Er war fast so dünn wie ich. Seine hellen Augen hinter der runden Brille wirkten müde und irgendwie mutlos.
Arne entschuldigte sich, weil wir zu spät kamen, aber Dr. Jansen sagte, das wäre nicht so dramatisch.
»Ihr könnt nichts dafür, dass die Bahn ihren Zeitplan nicht einhält. Immerhin seid ihr mehr als drei Stunden gefahren und ich habe mit dem Auto nur zwanzig Minuten bis hierher gebraucht.«
Ich mochte ihn sofort. Er erklärte, nicht er, sondern einer seiner Kollegen hätte Lara behandelt; und im letzten Vierteljahr wäre sie überhaupt nicht mehr tierärztlich versorgt worden.
»Der Besitzer hatte wohl kein Interesse mehr an ihr«, sagte er. »Ich kenne ihn flüchtig, er ist ein Mensch, dem man kein Tier anvertrauen dürfte. Aber das trifft auf viele zu, und leider gibt es keine Instanz, die darüber entscheidet, ob ein Mensch Tiere halten darf oder nicht.«
Wir gingen durch eine Seitentür und kamen an einer verglasten Wand vorbei, hinter der zehn oder zwölf Ponys mit Kindern auf dem Rücken im Kreis trabten. Es roch durchdringend nach Pferdedung, nach Leder und feuchten Wolldecken.
Ich versuchte, Dr. Jansen zu erklären, dass mein Vater sich absichern wollte und dass er ein Attest über Laras Gesundheitszustand verlangte.
»Das ist durchaus verständlich«, sagte Dr. Jansen. »Kaum jemand nimmt ein Pferd nur aus Tierschutzgründen zu sich. Dein Vater will eben nicht die Katze im Sack kaufen.«
Durch eine Hintertür kamen wir auf einen großen, gepflasterten Hofplatz, wo mehrere junge Leute mit Pferden standen. Sofort kamen drei von den Mädchen auf uns zugestürmt. Sie umringten Arne und redeten wild auf ihn ein. Ich merkte, dass sie sich echt freuten, ihn wiederzusehen.
Eines der Mädchen umarmte ihn und klammerte sich an ihm fest. Sie war klein und dunkelhaarig und hatte ein rundes braun gebranntes Gesicht. So wie sie Arne ansah, hätte ich schwören können, dass sie in ihn verliebt war.
Dr. Jansen war schon weitergegangen. Ich zögerte einen Augenblick, unschlüssig, ob ich warten oder ihm folgen sollte; da sagte Arne rasch: »Ich muss jetzt weiter, wir sehen uns später noch. Das ist übrigens Rikke. Sie interessiert sich für Lara. Rikke, das sind Jule, Mona und Anne.«
Ich lächelte höflich und sagte Hallo. Das kleine dunkelhaarige Mädchen, das Jule hieß, hängte sich bei Arne ein und kam mit uns über den Hofplatz zu einem niedrigen Seitengebäude mit mehr als einem Dutzend Halbtüren. Drei Pferde hatten ihren Kopf ins Freie gestreckt und sahen uns mit aufmerksamen Augen entgegen.
Es war düster hier und ein scharfer Geruch hing in der Luft. Dieser Teil der Reitschule war von Bäumen überschattet, hinter denen ein Hochhaus aufragte. Kein Sonnenstrahl erreichte das Stallgebäude.
Dr. Jansen machte vor einer der Halbtüren halt und stellte seine Tasche ab. In der Öffnung über der Tür erschien eine schmale, leicht gebogene Nase mit weißer Blesse, die von der Stirn bis zu den Nüstern reichte. Die Nasenspitze war rosafarben, das Maul von samtigem Dunkelgrau, das übrige Fell fuchsrot.
Doch mehr als alles andere fesselten mich die Augen der Stute - große, sehr dunkle Augen, fast schwarz, mit
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