Pferdesommer mit Lara
Stück entgegengekommen war, zuckte zusammen. Der panische Ausdruck trat wieder in ihre Augen.
Sie legte die Ohren an und wich gegen den Zaun zurück. Jule konnte gerade noch rechtzeitig zur Seite springen, um Laras rechtem Hinterhuf auszuweichen.
Wieder war es Arne, dem es gelang, die Stute zu beruhigen. »Du wirst jede Menge Geduld mit ihr haben müssen«, sagte er zu mir.
»Sie ist total mit den Nerven fertig«, erklärte Jule. »Gut, dass ich so schnell reagiert habe, sonst würde ich jetzt wochenlang wie Hans Hinkebein durch die Gegend humpeln.«
»Das wäre nicht das erste Mal.« Die beiden lachten sich an und ich beneidete sie um ihre Vertrautheit.
Jule sagte: »Sicher, aber das bleibt keinem erspart. Ich kann mich noch gut erinnern, wie du ewig den linken Arm in der Schlinge hattest, weil Micky dich beim Hufeauskratzen gebissen hat.«
Ich steckte die Haferplätzchen wieder ein. Vielleicht würde noch eine andere, bessere Gelegenheit kommen, um sie Lara zu geben.
Mir war richtig zum Heulen zumute, als wir sie wieder in ihre Box führen mussten, die mir wie eine Gefängniszelle vorkam. Geduldig ging sie mit uns und wich zurück, als wir die Halbtür schlossen. Der Blick, mit dem sie uns ansah, schnitt mir ins Herz.
»Halt noch eine Weile durch!«, sagte ich. »Wir holen dich hier raus.«
Es war ein Versprechen, und ich wusste, dass ich es halten musste.
16
»Es ist also nicht mal ein Vollblut!«, sagte mein Vater.
Wir saßen auf der Terrasse. Mama hatte eine Flasche Wein aufgemacht - zur Feier des Tages, wie sie sagte, und natürlich, um für gute Stimmung zu sorgen.
Ich musste mich zwingen, ruhig zu bleiben, hatte die Hände zwischen die Knie geklemmt und nahm mir vor, es erst einmal mit Diplomatie zu versuchen. Wenn das nichts brachte, war ich entschlossen, den Kampf aufzunehmen.
»Halbblüter sind ausgezeichnete Pferde«, erwiderte ich. »Und Vollblüter sind sowieso nur für wirklich gute, sichere Reiter geeignet. Für einen Anfänger wäre ein Vollblutpferd viel zu gefährlich.«
»Woher hast du diese Weisheit?«, fragte mein Vater.
»Ich hab’s gelesen. Und der Tierarzt hat gesagt, dass englische Halbblüter sehr gute Pferde sind, zuverlässig und ausdauernd.«
Das war geschwindelt. Dr. Jansen hatte nichts dergleichen gesagt. Ihm war es vermutlich egal, ob ein Pferd von einem Araber oder einem Maulesel abstammte. Es war Arne gewesen. Wir hatten uns auf der Rückfahrt im Zug darüber unterhalten. Doch ich wusste, dass mein Vater dem Urteil eines Tierarztes mehr vertrauen würde als dem eines siebzehnjährigen Jungen. Er hatte Dr. Jansens Attest vor sich auf dem Tisch liegen und studierte es mit nervtötender Genauigkeit. »Sieben Jahre«, murmelte er. »Ich kenne mich da nicht aus. Welche Lebenserwartung hat ein Pferd?«
»Pferde können ungefähr fünfundzwanzig bis siebenundzwanzig Jahre alt werden«, erklärte ich. »Manchmal auch älter. Lara ist also noch ziemlich jung.«
»Strahlfäule … hm, das klingt übel. - Heilung der Hufe kann bei guten Bedingungen und sorgfältiger Behandlung in absehbarer Zeit erfolgen. - In absehbarer Zeit! Das ist mal wieder einer von diesen typischen Gummibegriffen.«
Er griff nach seinem Glas und trank einen Schluck Rotwein. Meine Mutter, die neben ihm saß, sah kurz von ihrem Strickzeug auf und warf mir einen warnenden Blick zu, der bedeutete: Lass ihn, bleib ruhig, dräng ihn nicht! Es wird schon … In der Abenddämmerung sah sie wieder jung aus. Das sanfte Zwielicht verwischte die Spuren, die Ronjas Tod in ihrem Gesicht hinterlassen hatte.
Ich hatte die ganze Zeit den Atem angehalten, das merkte ich jetzt. Mein Vater pustete eine Fliege vom Papier und las weiter: »Glatzflechte … Pfui Teufel, was soll das denn sein? Heißt das, dass die Stute stellenweise kahl ist?«
»Nein«, sagte ich. »Sie hat nur ein paar verkrustete Stellen im Fell, aber es ist nicht schlimm, man kann es behandeln. Lara hat ewig in einer dunklen, engen Box gestanden und ist kaum ins Freie gekommen.«
»Armes Tier!«, warf Mama ein. »So ein Pferd gehört doch in die freie Natur, es braucht Luft und Licht und Bewegung. Kein Wunder, dass die Stute krank geworden ist.«
Mein Vater hörte nur mit halbem Ohr zu. »Nicht ansteckend«, las er. »Gute Heilungschancen durch homöopathische Behandlung (bereits eingeleitet). Kein Grund, vom Kauf des Pferdes abzusehen. Bei artgerechter Haltung und ausgewogener Fütterung kann aus der Stute bis Jahresende ein gutes, gesundes
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