Pferdesommer mit Lara
anständiger junger Mensch. Man kennt diese Leute ja noch nicht.«
»Frau Pfefferle sagt, Herr Theisen ist Wirtschaftsprüfer. Und die Handwerker, die auf Eulenbrook arbeiten, seien sehr zufrieden, weil er sie fair behandelt und weil sie pünktlich ihr Geld bekommen.« Mama wusste, welche Argumente bei meinem Vater zählten.
Er trank einen Schluck Wein. Dann griff er nach der Fernbedienung für den Fernseher.
»Jetzt schlafen wir erst mal darüber«, sagte er. »Morgen ist auch noch ein Tag.«
14
Am Montag nahmen wir den ersten Bus nach Michelsburg und von dort den Interregio.
Die Nichtraucherabteile der zweiten Klasse waren so überfüllt, dass wir fast eine Stunde lang stehen mussten. Dann fanden wir endlich zwei freie Plätze. Eine Viertelstunde später stiegen wir in einen Bummelzug um, der Verspätung hatte und ungefähr an jedem Briefkasten hielt.
Arne sah dauernd auf die Uhr. »Hoffentlich schaffen wir’s rechtzeitig!«, sagte er. »Ich hab für zwölf einen Termin mit Doktor Jansen vereinbart. Er wartet beim Reitstall auf uns.«
Ich hatte vor Aufregung weiche Knie. »Mein Vater möchte, dass wir ein Attest oder so was Ähnliches mitbringen, auf dem steht, ob Laras Krankheiten heilbar sind und wie lange sie behandelt werden muss.«
»Ich weiß, das hast du schon gesagt. Mach dir keine Sorgen. Wir kriegen Lara wieder hin. Wenn sie es gut hat, wird sie sich bald erholen. Und Doktor Jansen ist echt in Ordnung; einen besseren Tierarzt gibt es nicht.«
»Habt ihr noch mal mit Laras Besitzer telefoniert? Kommt er auch?«, fragte ich.
»Nein, der hat heute keine Zeit. Aber er wäre bestimmt froh, wenn er Lara endlich loswerden könnte. Wir haben nicht über den Preis geredet. Das soll mein Vater machen, sobald du dich entschieden hast.«
»Sobald mein Vater entschieden hat, ob ich Lara nehmen darf«, verbesserte ich. »Und das hängt jetzt ganz davon ab, was für ein Attest dieser Doktor Jansen schreibt.«
Zweimal blieb der Zug auf offener Strecke stehen, ohne dass wir wussten, weshalb. Ich hätte aussteigen und ihn anschieben mögen. Arne hatte Cola und Obst für uns beide in seinem Rucksack, und ich dachte, dass er für einen Jungen ausgesprochen fürsorglich war. Wir aßen Äpfel, Trauben und Bananen und wurden beide immer nervöser, je näher wir dem Ziel unserer Reise kamen.
»Ich dachte, der Sommer würde zum Heulen langweilig und trübsinnig werden«, sagte ich, als wir wieder einmal an einem winzigen Bahnhof hielten. »Und jetzt passiert so viel, dass ich’s fast im Kopf nicht aushalte.«
Arne nickte. »Du bist ziemlich allein, wie?« In seiner Stimme schwang ein vorsichtiger Unterton. »Hast du keine Freunde?«
»Eigentlich nicht.« Plötzlich kam es mir wie ein Makel vor, dass ich so eine Außenseitern war. Sicher dachte er, dass etwas mit mir nicht stimmen konnte, weil ich keine Freunde hatte wie alle anderen. Ich versuchte, es ihm zu erklären.
»Meine Schwester und ich - wir haben immer alles zusammen gemacht. Früher, als sie noch lebte, brauchte ich sonst keinen, verstehst du? Und jetzt … es ist mit niemandem so wie mit ihr. Für Ronja gibt es keinen Ersatz.«
Sein Blick war aufmerksam, aber nicht neugierig. »Jetzt wird mir einiges klar. Ich hab mich schon gefragt …« Er stockte und fügte dann hinzu: »Sicher gibt es keinen Ersatz für einen bestimmten Menschen. Trotzdem kann man neue Beziehungen und Freundschaften aufbauen, wenn man anderen eine Chance gibt.«
Das stimmte. Ich hatte bisher nie wirklich jemandem eine Chance gegeben, auch Isabell nicht. Nur Arne vielleicht. Er war die Ausnahme - ausgerechnet er, obwohl ich doch entschlossen gewesen war, weder ihn noch seine Familie zu mögen.
»Wann ist deine Schwester gestorben?«, fragte er.
»Vor zwei Jahren.«
Ich merkte, dass er zögerte, und wusste, wenn er jetzt weiterfragte, würde es nicht aus Sensationslust sein, sondern aus echtem Interesse an mir und meinem Leben.
»War es ein Unfall? Du musst nicht darüber reden, wenn du nicht willst.«
»Ronja hatte einen Fahrradunfall. Sie ist zu schnell einen Abhang hinuntergefahren und konnte an der Kreuzung nicht mehr rechtzeitig bremsen.« Ich schluckte. »Da kam ausgerechnet ein Motorradfahrer daher, mit dem ist sie zusammengestoßen.«
Eine Weile schwiegen wir. Er sagte nicht: Oh, wie furchtbar! Oder: Tut mir leid. Das hatte ich auch nicht von ihm erwartet. Er war anders als andere. Die meisten Leute meinten, sie müssten ein paar passende Worte von sich geben, aus
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