Pferdesommer mit Lara
dachte ich. Und wenn bloß nicht irgend so ein vertrottelter Typ durchs Unterholz schleicht und mit dem Gewehr ballert!
Doch wir hatten Glück. Alles blieb ruhig, nur die Enten begannen wieder zu quaken, aber das schien Jago nichts auszumachen. Er blieb genau wie ich an der gleichen Stelle stehen, und ich betete darum, dass Arne nicht mehr weit war und rechtzeitig auftauchte, ehe Jago auf die Idee kam, dass er mit mir eigentlich nichts am Hut hatte und dass es sinnlos war, am Ufer des Waldsees zu stehen und sich über das Schilf hinweg mein Gelaber anzuhören.
»Feiner Junge, alles ist gut, gleich kannst du wieder auf die Koppel! Guter Jago, wieso bist du weggelaufen, was war denn los? Wart nur noch ein bisschen, Fee und Arne sind gleich hier …«
Drei oder vier Mücken stachen mich in die Hände, ehe ich es verhindern konnte. Plötzlich piepste das verdammte Handy. Blitzschnell drückte ich auf den grünen Knopf, um das Geräusch zu unterbinden. Es war meine Mutter.
»Ist alles in Ordnung, Rikke?«, fragte sie. »Habt ihr ihn gefunden?«
»Ja«, flüsterte ich. »Aber ich kann jetzt nicht reden. Bis später -«
Nur für Sekunden war ich abgelenkt gewesen. Als ich wieder aufsah, war Jagos Kopf verschwunden.
Ohne lange zu überlegen, fuhr ich am Seeufer entlang über den Trampelpfad, der zum Wald führte. Das Klappern des Schutzblechs kam mir wie Kanonendonner vor. Ich gab mir Mühe, ganz langsam zu radeln, damit Jago nicht in Panik geriet, falls er irgendwo zwischen den Bäumen stand und mich auftauchen sah.
Wieder rief ich nach ihm und im Wald gab es ein Echo. »Jago!«, kam es leise und fern zurück, als wollte sich jemand über mich lustig machen. Oder war es kein Echo? War es Elisa, die irgendwo am anderen Ende des Waldes nach dem Wallach suchte?
»Jago!«, rief ich wieder, und »Jago!« schallte es zurück, eine helle, etwas ängstlich klingende Stimme, die ich erst jetzt als den Widerhall meiner eigenen erkannte.
Er stand zwischen den Kiefern. Das weißgraue Fell mit den dunklen Flecken schimmerte in der Sonne, die durch die Baumwipfel kam. Jeder Muskel seines Körpers war angespannt. Sein Blick sagte deutlicher als Worte: Komm mir bloß nicht zu nahe!
Ich verstand die Botschaft und blieb stehen. »Hallo, Jago«, sagte ich sanft. »Da bist du also! Hab keine Angst, du kennst mich doch. Alles wird gut, Junge. Ich tu dir nichts …«
Meine Stimme schien ihn zu beruhigen. Er senkte den Kopf und schnaubte leise.
»Jetzt bleiben wir hier und warten auf Arne, du und ich. Es dauert bestimmt nicht mehr lange. Guter Jago!«
Doch da warf er jäh den Kopf zurück und wieherte schrill. Ich fuhr zusammen und bekam vor Schreck weiche Knie. Erst als ich vom anderen Seeufer her ein helles, kurzes Antwortgewieher hörte, atmete ich auf. Es war Fees Stimme.
Dann ging alles sehr schnell. Ich konnte gerade noch rechtzeitig mit meinem Rad zur Seite ausweichen. Jago war losgestürmt. Er galoppierte dicht an mir vorbei. Das Schilf raschelte, Zweige knackten und der weiche Moorboden schien zu schwanken.
Ich sah seinen silberfarbenen Schweif zwischen den rötlichen Kiefernstämmen verschwinden und fing ziemlich hysterisch zu kichern an.
»Rikke!« Das war Arnes Stimme. »Rikke, wo bist du? Er ist hier, ich hab ihn! Bist du okay?«
Er stand ungefähr an der gleichen Stelle wie ich vorher und legte Jago gerade das Halfter an, das er mitgebracht hatte. Irgendwo im Schilf plätscherte Fee. Jago wirkte jetzt total ruhig, während Arne ihm den Nasenriemen überstreifte.
Der Apfelschimmel zuckte nicht einmal mit den Ohren, als ich neben den beiden vom Rad stieg.
»Ich glaube, er ist heilfroh, dass wir aufgetaucht sind«, lächelte Arne. »Wie bist du auf die Idee gekommen, ihn hier zu suchen?«
»Das war eine Art Eingebung.« Mein Gelächter klang zittrig. »Hat er sich verletzt? Ich bin nicht nahe genug an ihn herangekommen, um ihn mir genauer anzusehen.«
»Er ist in Ordnung. Und du?« Arnes Augen glitten über mein Gesicht. Ein Leuchten war in ihnen, das mich verlegen machte. Er streichelte Jagos Hals.
»Ich bin okay bis auf ein paar Mückenstiche. Und morgen bin ich wahrscheinlich stockheiser, weil ich ewig auf ihn eingeredet habe.«
»Du scheinst alles richtig gemacht zu haben. Vielen Dank, Rikke!«
»Schon gut. Du hättest das Gleiche auch für mich getan, wenn Lara ausgebüxt wäre.«
Ich stellte mein Fahrrad ab und holte Fee, die im seichten Wasser stand und die Enten beobachtete. Arne schwang sich auf ihren
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