Pferdesommer mit Lara
Rücken, ohne Jagos Halfterstrick loszulassen, und ich bewunderte wieder einmal sein Geschick und seine Geschmeidigkeit.
»Hoffentlich kriegst du keinen Stress in der Schule«, sagte er noch, während er Fees Zügel aufnahm.
»Nein. Ich hatte einen akuten Anfall von Zahnschmerzen und musste zum Zahnarzt.«
»Hast du dir schon überlegt, welcher Zahn es war, falls dich jemand fragen sollte?«
»Ein Weisheitszahn«, sagte ich.
10
Am nächsten Tag bekam ich von Arne ein Päckchen in rotem Seidenpapier mit rosaroter Schleife. Darin waren eine Tüte Schweizer Kräuterbonbons für Husten und Heiserkeit und ein Döschen Tigerbalsam.
»Gegen die Mückenstiche«, sagte er. »Und mein Vater hat vor, dich zu einem Eisbecher einzuladen.«
Zwei Tage lang gab ich Lara die weißen Kügelchen, die Frau Friedrun mir in einem kleinen wattierten Umschlag geschickt hatte. Lara kam mir wirklich ruhiger und weniger ängstlich vor. Außerdem fiel mir auf, dass sie ihren geschützten Platz zwischen den Haselnusssträuchern verließ und ganz in Fees Nähe mitten auf der Koppel graste. Sie ließ sich nicht einmal von Robin vertreiben, der sich als Anführer der kleinen Herde fühlte und mehrere Versuche startete, sich zwischen die Stuten zu drängen.
»Sie kommt mir selbstbewusster vor«, sagte Arne. »Und irgendwie gelassener.«
»Und sie schaut munterer durch die Gegend.« Ich wollte nur zu gern glauben, dass Frau Friedruns weiße Kügelchen Wunder wirkten und dass sich am Samstag alle unsere Befürchtungen in Wohlgefallen auflösen würden.
Am Samstagvormittag fiel es mir nicht gerade leicht, mich auf die Arbeit im Fotoladen zu konzentrieren. Ich hatte das Gefühl, dass mein Vater mich noch genauer als sonst beobachtete, ob ich auch freundlich genug zu den Kunden war, die richtigen Filme verkaufte und keine Fehler mit dem Wechselgeld machte.
»Kann es sein, dass du heute irgendwie nervös bist?«, fragte er.
»Es nervt, wenn du mich dauernd beobachtest.«
Während er in dem kleinen Studio hinter dem Vorhang einen jungen Vater und seinen kleinen Sohn fotografierte, kam eine Kundin und beschwerte sich über die Qualität der Fotos, die sie uns zum Entwickeln gebracht hatte.
Ich bat sie zu warten, bis mein Vater fertig war, doch sie sagte, sie hätte keine Zeit, ich sollte mich selbst um die Sache kümmern und sofort bei der Firma anrufen, die den Film entwickelt hatte.
»Bitte warten Sie ein paar Minuten«, wiederholte ich. »Mein Vater kennt sich damit besser aus, er kann sich die Fotos ansehen und Sie beraten. Vielleicht ist ja mit Ihrer Kamera etwas nicht in Ordnung.«
Darauf wurde sie richtig giftig, sagte, sie wollte nicht beraten werden, das wäre eine schlechte Bedienung und sie sei zum letzten Mal in unserem Laden gewesen.
Mein Vater kam hinter dem Vorhang hervor, warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu und versuchte, die Frau zu beruhigen. Sie wurde bei seinem Anblick auch sofort freundlicher und breitete ihre Fotos auf dem Ladentisch aus, während der kleine Junge unter dem Vorhang durchrobbte und mit affenartiger Geschwindigkeit ein Tischchen umstieß, auf dem Fotorahmen standen.
Natürlich gab es Scherben und der Kleine schrie aus vollem Hals. Während ich das Glas zusammenfegte, fühlte ich den anklagenden Blick meines Vaters auf mir ruhen. In seinen Augen war alles meine Schuld, obwohl ich doch wirklich nichts dafür konnte.
Der Tag fängt ja gut an!, dachte ich. Vielleicht ist das ein Zeichen, dass wir Laras Hufe heute besser nicht ausschneiden sollten...
Ich überlegte ernsthaft, ob ich Frau Friedrun anrufen und den Termin verschieben sollte, denn ich glaube an Zeichen. Dann ergab sich aber einfach keine Gelegenheit, ans Telefon zu gehen, ohne dass mein Vater es mitbekommen hätte; und ich wusste, dass er es nicht leiden konnte, wenn man in seinem Laden Privatgespräche führte. Also ließ ich es bleiben, um nicht noch mehr in Ungnade zu fallen.
Mama hatte Quarkauflauf gemacht, als ich mittags nach Hause kam. Sie war richtig selig, dass ich einen ganzen Teller davon aß.
»Rikke, ich glaube, deine Essstörung ist überwunden!«, sagte sie, umarmte mich und gab mir einen Kuss. »Lara tut dir gut; seit du sie hast, bist du wieder mehr wie früher.«
Ich wunderte mich selbst, dass ich an einem Tag wie diesem solchen Appetit hatte. Noch vor Kurzem hatte ich an jedem Bissen gewürgt, wenn ich nervös war. Ich schnitzelte Äpfel und Karotten für die Pferde und erzählte Mama von der blöden Kundin, dem
Weitere Kostenlose Bücher