Pferdesommer mit Lara
dazwischenkommt, ist im Oktober alles so weit fertig, dass wir einziehen können. Das wollen wir mit ein paar Freunden feiern, die Kinder und ich. Und ich würde mich freuen, wenn Sie dabei wären.«
Er sah plötzlich wie ein Schuljunge aus. Ich wäre ihm am liebsten auch um den Hals gefallen, so rührend fand ich ihn, und so froh war ich, dass Lara alles gut überstanden hatte.
Lara und Fee tranken am Bach. Es war ein friedliches Bild, wie die sahnefarbene und die rotbraune Stute im lichten Schatten unter den Ästen der Eiche standen, die Hälse anmutig gebogen. Sie drehten sich zu mir um; das Wasser rann in glitzernden Fäden von ihren Lippen und Nüstern.
Ich hatte noch ein paar Haferkekse in der Tasche, die ich als Belohnung für Lara mitgebracht hatte. Jetzt teilte ich sie zwischen den beiden Stuten und streichelte ihre Nasen.
»Das hast du gut gemacht, Lara, mein Mädchen!«, sagte ich leise. »Hoffentlich war’s nicht zu schlimm für dich. Wenn deine Hufe wieder in Ordnung sind, kriegst du neue Eisen. Dann können wir vielleicht auch miteinander ausreiten.«
Sie wirkte erstaunlich ruhig, so als wäre nichts geschehen. Ihre Augen waren blank wie die von Fee, und eine Weile schnupperte sie an ihren alten Hufeisen, die ich im Arm hielt. Vielleicht verbanden sich für sie damit noch Erinnerungen an die langen Jahre, die sie auf dem schmutzigen Betonboden in der engen, düsteren Box des Reitstalls verbracht hatte, an Ausritte mit ihrem früheren Besitzer, der so hart mit ihr umgegangen war.
Ich säuberte die Hufeisen mit Wasser und einer Wurzelbürste. Eines davon nagelten wir an den Gatterpfosten. Die restlichen drei nahm ich mit nach Hause.
Das zweite Hufeisen sollte mein Großvater bekommen. Ich umwickelte es mit einem roten Band, packte es dick in Zeitungspapier und legte es in ein kleines gelbes Postpaket, zusammen mit einer Karte, auf der ein Foto von Lara klebte.
»Ohne das Geld, das du mir geschenkt hast, hätte ich Lara nicht kaufen können«, schrieb ich auf die Rückseite der Karte. »Vielleicht würde sie jetzt schon nicht mehr leben. Das Hufeisen ist von ihr und soll dir Glück bringen. Komm bald und besuch uns und sieh sie dir an!«
Großvater war seit Ronjas Beerdigung nicht mehr bei uns gewesen. Ich hatte das Gefühl, dass ihn die Angst, an ihren Tod erinnert zu werden, davon abhielt, uns zu besuchen.
Nach der Abendfütterung ging ich zum Friedhof. Ich hatte das dritte Hufeisen dabei, einen Schraubenzieher und ein paar Schrauben. Am Waldrand hatte ich einen Blumenstrauß gepflückt - Glockenblumen, Storchschnabel, späte Margeriten und Gräser.
Ich besuchte Ronjas Grab nur selten. Lange hatte ich das Gefühl gehabt, ihr in Eulenbrook näher zu sein, in dem verlassenen Haus und dem verwilderten Garten, wo wir so viele Stunden miteinander verbracht hatten. Doch dann waren die Theisens gekommen und nichts war mehr so gewesen wie einst.
Mama kam oft hierher. Sie hatte nicht die üblichen Friedhofsblumen aufs Grab gepflanzt, sondern Heidekraut, wilde Alpenveilchen, Akeleien und Frauenmantel, dazu einen Rosenstrauch, der vom Frühling bis in den späten Herbst mit aprikosenfarbenen Blütenbüschel übersät war. In der Mitte von Ronjas Grab stand ein kleines steinernes Wasserbecken.
Schon von Weitem sah ich, dass eine Amsel am Rand des Beckens saß und trank. Ronja hatte statt eines Grabsteins eine hölzerne Skulptur - die Gestalt einer Frau, die aus einem Baumstamm herausgeschnitzt war. Unten sah man noch ein Stück des Stamms, aus dem der Körper einer Frau wuchs, die den Nacken gebeugt und die Arme über dem Kopf verschränkt hatte. Die Umrisse waren nur angedeutet, aber man spürte, dass die Frau traurig und in sich versunken war.
Ich legte den Blumenstrauß in das Wasserbecken. Dann befestigte ich eine Schraube in dem Baumstamm, unterhalb der Stelle, an der Ronjas Name in das Holz gekerbt war, und hängte Laras Hufeisen daran.
Später ging ich noch zum Brunnen und füllte das kleine Becken mit frischem Wasser aus der Gießkanne. Irgendwie war es ein tröstlicher Gedanke, dass die Vögel an Ronjas Grab kamen, um zu trinken und zu baden.
Eine Weile stand ich da und fragte mich, ob sie Laras Hufeisen wohl sehen konnte und ob es sie noch irgendwo gab. Beten konnte ich nicht. Falls es einen Gott gab, hatte ich ihm noch nicht verziehen, dass er Ronja nicht vor dem Unfall beschützt hatte.
Es hätte so viele Möglichkeiten gegeben - eine Fahrradpanne zur richtigen Zeit, irgendein Ereignis,
Weitere Kostenlose Bücher