Pferdesommer mit Lara
guten Sachen auf. Ich nahm mir vor, ihr später, wenn keiner hinsah, etwas vom Parmaschinken zu geben, der zwischen Melonenscheiben auf einer silbernen Platte lag.
Arne winkte mir vom Fenster her zu. Wir unterhielten uns eine Weile mit Jonas, dem Jungen aus unserer Schule, der ziemlich schüchtern war und den Eindruck machte, als hätte er sich am liebsten hinter den bodenlangen Vorhängen verkrochen.
»Bist du nicht eine von den Wagner-Zwillingen?«, fragte er, verstummte dann jäh und machte ein verlegenes Gesicht.
»Ja«, sagte ich. »Der Teil, der übrig geblieben ist.«
Er senkte den Blick. »Tut mir leid.«
Jetzt kam Lily und hakte sich bei Arne unter. »Hi!«, sagte sie zu mir. »Ich dachte, du bist krank.«
Es klang wie: Du solltest eigentlich nicht hier sein. Sie versuchte, Arne mit sich fortzuziehen, doch er blieb stehen und sagte auf seine sanfte, aber bestimmte Art: »Wir sehen uns dann gleich.«
Sie warf den Kopf zurück, eine Bewegung, die mich an ein trotziges Kind erinnerte. Ihre Haare waren teils gelockt, teils zu dünnen Zöpfchen geflochten. Sie trug eine braune Seidenhose mit einem engen Oberteil aus pinkfarbenem Samt.
Plötzlich kam ich mir in meiner Jeans und dem alten bestickten Leinenjäckchen schäbig vor. Der Blick, mit dem sie mich musterte, ehe sie wieder zum Flügel ging, bestärkte mich noch in meinem Aschenputtelgefühl.
»Ey, Mann, ist das ein scharfer Hase!«, flüsterte Jonas beeindruckt. »Woher kennt ihr die?«
»Aus dem Reitklub. Sie ist mit meiner Schwester befreundet.« Arne sah mich an. »Was möchtest du trinken? Sekt mit Orangensaft? Mineralwasser? Cola mit Schuss?«
»Nur Orangensaft, danke«, sagte ich.
Jonas wollte Sekt und Arne verschwand und kam mit drei Gläsern auf einem Tablett zurück. Bonnie trabte hinterdrein; die Schleife an ihrem Halsband hüpfte auf und ab. Elisa hatte inzwischen zu spielen aufgehört. Aus der Stereoanlage kam Barockmusik, die den Raum mit heiteren Tönen füllte.
Verstohlen musterte ich Arne. Er sah richtig gut aus, fand ich. Zu einem hellen Hemd trug er eine Wildlederweste, die ziemlich abgeschabt war und vielleicht einmal seinem Vater gehört hatte. In seinem linken Ohr hing ein kleiner goldener Ring. Seine schlanken, aber kräftigen Hände waren zerkratzt, mehrere Fingernägel abgebrochen.
Als er meinen Blick bemerkte, steckte er die Hände in die Hosentaschen. »Ich hab versucht, meine Fingernägel sauber zu kriegen, aber alle Schrubberei hat nichts genützt«, murmelte er entschuldigend. »Meine Hände sehen immer abartig aus. Ich vergesse meistens, Arbeitshandschuhe zu tragen.«
Wenn Jonas nicht dabei gewesen wäre, hätte ich ihm vielleicht gesagt, dass ich gerade seine Hände besonders an ihm mochte und dass er sich für sie nicht zu schämen brauchte.
Jonas fragte nach den Pferden. Wir erzählten von Lara. Zu meiner Überraschung schien es ihn wirklich zu interessieren, denn er hörte aufmerksam zu, bis Elisa plötzlich einen Dixieland auf dem Klavier spielte, so laut, dass wir schreien mussten, um uns zu verständigen.
Dann war auch Frau Friedrun da, ungewohnt elegant in einem blauen Seidenkleid und baumelnden Perlohrringen, mit einer Art Suppenterrine im Arm. Sie stand einige Zeit bei Herrn Theisen und seinen älteren Gästen und kam dann zu uns ans Fenster.
»Wie geht’s Lara?«, fragte sie. »Es ist meistens ein gutes Zeichen, wenn sich die Leute nicht bei mir melden.«
»Von Tag zu Tag besser«, sagte ich, ohne zu wissen, ob sie mich auch verstanden hatte, denn jetzt spielte Elisa einen Tusch auf dem Klavier und verkündete, das Büfett wäre eröffnet. Bonnie war als Erste am Tisch, worüber alle lachten.
Nur Arne und ich blieben mit unseren Gläsern zurück. Arne fragte: »Magst du nichts essen?«
»Doch, aber nicht jetzt, wenn alle mit ihren Gabeln zustechen.«
Er lachte. »Ich möchte deine Käseplätzchen probieren. Sie sehen gut aus. Hast du sie gebacken oder deine Mutter?«
»Wir beide.« Wir standen jetzt dicht nebeneinander am offenen Fenster und sahen in den dunklen Garten hinaus, in dem die letzten Zikaden dieses Sommers zirpten.
»Der Garten gehört uns nicht.« Arne sagte es leise, als antwortete er auf eine unausgesprochene Frage. »Er gehört sich selbst und den Tieren, die darin leben. Eigentlich sind wir hier nur Eindringlinge.«
»Es kommt darauf an, wie ihr mit ihm umgeht.«
Plötzlich wandte er sich mir zu, hob die Hand und strich mir mit dem Zeigefinger eine Haarsträhne hinters
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