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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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unsere Zunft zurück und kann neu vergeben werden. Heiratet Ihr binnen dieser Frist einen Gerbergesellen, so hat allein das Zunftgericht festzusetzen, inwieweit seine Eignung den Bestimmungen unseres Amtes entspricht.« Er zwinkerte heftig. »Trifft dies in vollem Umfang zu, kann die Meisterei in seine Hände übergeben werden.«
    »Und das Haus?«, wollte sie wissen. »Was ist mit dem Haus?«
    »Haus und Gerberei gehören untrennbar zusammen«, beharrte er. »So steht es in unseren Statuten geschrieben. Heiratet Ihr standesgemäß, ändert sich ohnehin nichts, und Recht und Ordnung sind gewahrt. Bleibt Ihr jedoch unverehelicht, kann der neue Meister Euch und Euren Kindern« - ein schneller, abschätziger Blick zu ihrer schlanken Taille, wohl ein Versuch, sich des aktuellen Stands zu vergewissern - »unter gewissen Umständen Wohn- und Bleiberecht gewähren. Aber er muss nicht. Falls er nämlich den Platz für seine eigene Familie braucht.« Er kam näher, als wolle er ihr etwas Vertrauliches zuraunen. Anna wich zurück, als sie seinen bockartigen Gestank bemerkte. Dankbar, ja fast mit einem gewissen Gefühl der Zärtlichkeit, gedachte sie ihres verstorbenen Mannes, der selten vergessen hatte, dass sein streng riechendes Handwerk mehr als die übliche Sauberkeit erforderte. »Allerdings sollte es einem so reschen Weibsbild wie Euch nicht schwerfallen, den Richtigen zu finden. Euch stehen doch alle Möglichkeiten offen. Ihr braucht nur zu entscheiden. Wenn ich beispielsweise daran erinnern dürfte, dass mein braves Weib seit mehr als drei Jahren tot ist und ich dringend eine neue Meisterin suche …«
    Sie erhob sich schnell und komplimentierte alle drei ohne weitere Umstände hinaus. Eine Frist hatte sie also zumindest. Besser als nichts. Wenngleich wenig genug. Allein die Vorstellung, nach all den Jahren eigenständigen Wirtschaftens wie eine Bettlerin mit Flora in das enge, schmutzige Haus der Windecks zurückkehren zu müssen, schnürte ihr auf der Stelle den Hals zu. Trostlos und trüb sah es dort aus, schlimmer als je zuvor. Hilla hatte seit dem letzten Winter ein böses Geschwür an der linken Brust, das ständig nässte und sie kraftlos und schwach machte.
    Inzwischen schien sogar Hermann den Traum von einem Sohn endgültig aufgegeben zu haben und seine Frau wenigstens in dieser Hinsicht in Ruhe zu lassen. Er war ohnehin kaum noch zu Hause anzutreffen, sondern schuftete entweder wenige Stunden wortkarg am Blaubach oder versoff bei ständig sinkendem Kundenstamm sein bisschen Gewinn in einer der billigen Spelunken. Anna gegenüber brachte er kaum ein Wort heraus; ob aus Missgunst oder nach wie vor aus Gewissen, weil er sie um Reginas Haus betrogen hatte, ließ sich nicht genau bestimmen. Selbst anlässlich Ardins Beerdigung hatte er sich zunächst mit stummem Nicken begnügt, um sich schließlich doch zu besinnen und zwischen den Zähnen hervorzupressen, sie könne immer zu ihnen kommen, wenn sie einmal nicht wisse, wohin. Trotz ihrer Benommenheit registrierte Anna dabei sehr wohl seinen prüfenden Blick, den er über all die schönen Gegenstände im Gerberhaus schweifen ließ, als erstelle er schon jetzt eine heimliche Liste seiner Begehrlichkeiten, um sie dann bei passender Gelegenheit einzufordern und zu Geld zu machen.
    Die Mädchen konnten sehen, wie sie alleine zurechtkamen. Agnes, die Kleine, selber alles andere als kräftig und gesund, blieb meistens bei der kranken Mutter im Haus, während Ursula, inzwischen unangefochtene Herrscherin über den »Schwan«, die dreizehnjährige Barbra schon fest zum Arbeiten im Wirtshaus eingespannt hatte. Es schien ihr Spaß zu machen, Hermanns älteste Tochter nach Herzenslust herumzukommandieren; jedenfalls ließ sie keine Gelegenheit aus, um deutlich zu machen, wer hier das Sagen hatte.
    Am meisten aber bedrückte es Anna, was mit Guntram geschehen sein musste. Etwas nagte an ihm, da war sie sich ganz sicher, ein geheimer Kummer, eine bedrückende Last, die er mit keinem anderen teilte. Wenn überhaupt, dann erschien er allenfalls nur unregelmäßig in der Färberwerkstatt, verrichtete dort seine Arbeit schlampig oder unvollständig, um alsbald wieder für Tage oder Wochen spurlos zu verschwinden. Niemand sah ihn mehr in seiner Kammer hämmern oder feilen; seine Apparate lagen vernachlässigt in irgendeiner Ecke. Dafür schien er neue Kumpane gefunden zu haben, mit denen er offenbar lieber seine Zeit verbrachte: aufrührerische Weberknechte zum Beispiel, die um

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