Pforten der Nacht
sollte sie schon reden? Die frommen Schwestern machten bereits verschreckte Gesichter, wenn sie Schwierigkeiten nur andeutete. Sie wussten zwar, dass die Klöppelaufträge dieses Jahr spärlich ausfallen würden; aus dem Palast des Erzbischofs war bisher nur eine einzige größere Bestellung gekommen, die sie bis zum Frühsommer spielend erledigen konnten. Aber sie hatte es bislang noch nicht über sich gebracht, ihnen mitzuteilen, dass sie alle ohne Ausnahme wieder für das unliebsame Amt der Leichenfrauen eingeteilt worden waren. Sie selber hatte es vor einigen Tagen von einem Boten des Inneren Rats erfahren und war alles andere als glücklich darüber.
An eine Weigerung freilich war nicht zu denken. Seitdem man überall von der Pest hörte, die sich unaufhaltsam vom Süden her auszubreiten schien, hatte sich die Stimmung in der Stadt gewandelt; allen, die wagten, aus der Norm auszuscheren, wehte jetzt ein rauerer Wind entgegen. So hatte man die Huren in ein einziges Haus nahe der Stadtmauer gesteckt, um sie besser kontrollieren zu können, und Gaukler durften nur noch an ausgesuchten Tagen ihre Späße auf dem Alten Markt zeigen. Durchreisende Kaufleute, falls man sie überhaupt nach Köln hineinließ, mussten sofort sich und ihre Waren beim Rat registrieren lassen; jüngst waren sogar alle Badestuben verrammelt worden, die Bademädchen in Schimpf und Schande in eine ungewisse Zukunft entlassen. Als ob die Leute weniger krank wurden, wenn sie aufhörten, sich zu waschen oder ein bisschen Spaß zu haben!
Fast hätte sie laut aufgelacht, ein hartes, bitteres Lachen, das sie manchmal selber erschreckte. Es gelang ihr gerade noch, ihre Züge wieder unter Kontrolle zu bringen, als sie die Pförtnerin begrüßte.
»Zuerst war eine dreiste Bettlerin da, die ich vertreiben musste. Und dann ein Trupp Männer, der Einlass begehrt hat.« Mechthilds schmales Gesicht war fleckig vor Aufregung. »Sie wollten sich nicht davon abbringen lassen. Selbst als ich ihnen sagte, dass allein Pater Bruno bei uns ein und aus gehen darf. Bedroht haben sie mich und übel beschimpft! Irgendwann sind sie dann doch wieder abgezogen, wenngleich unter gotteslästerlichen Flüchen. Mir war schon angst und bang, Meisterin Regina. Was bin ich froh, dass Ihr endlich wieder da seid!«
»Was für Männer?«, fragte Regina alarmiert.
»Das weiß ich nicht«, erwiderte die Pförtnerin unglücklich. »Gekannt habe ich keinen von ihnen. Aber gesprochen haben sie wie Hiesige. Sie sagten, sie wollten sich einmal näher bei uns umsehen.« Das Rot auf ihren Wangen brannte stärker. »Ein ganzes Haus voller einsamer Frauen - so etwas könnte man sich doch nicht entgehen lassen.«
»Sie werden nicht wiederkommen«, behauptete Regina, sicherer, als ihr wirklich zumute war. »Ein paar Betrunkene, wie ich annehme. Womöglich nichts als ein verspäteter Fastnachtsscherz. Ich kann ja Pater Bruno trotzdem benachrichtigen. Schon, um dich zu beruhigen.«
Mechthild lächelte dankbar und wandte sich wieder ihren Schreibarbeiten zu, die sie in der engen Pförtnerstube Tag für Tag erledigte. Regina vergaß die ganze Angelegenheit wieder schnell, obwohl sie die Nacht schlecht schlief und die darauffolgende nicht minder.
Es gefiel ihr nicht, dass sie Guntram immer seltener zu Gesicht bekam. Es war Ursula egal, dass er unregelmäßig arbeitete, sondern sich häufig mit Gesindel herumtrieb. Hermann Windeck hatte sie schnell zum Schweigen gebracht, als er wagte, ihr damit zu kommen. Und an ihre Tür zu klopfen riskierte er schon lange nicht mehr - umso besser! Denn er widerte sie nur noch an. Und wenn er dreimal bald ein Wittiber wäre, mit ihr brauchte er nicht mehr zu rechnen. Kaum vorstellbar, dass sie ihn überhaupt einmal ertragen hatte!
Ganz anders Guntram! Der war schließlich ein richtiger Kerl und ihr keine Rechenschaft schuldig. Er konnte tun und lassen, was er wollte, und sie bewunderte ihn gerade für seinen Mut und seine Schlauheit. Aber dass er sie nicht einmal freiwillig in seine Pläne einweihte, das kränkte und verletzte sie. Schließlich waren sie seit vergangenem Winter ein Paar, falls man die schnellen, rohen Umarmungen im Dunkeln überhaupt als Liebesspiel bezeichnen konnte, zu denen er sich für ihren Geschmack viel zu selten herabließ. Dabei genoss er es, sich an ihrem schlanken Körper mit den großen Brüsten zu reiben, wie wild in sie zu stoßen, sie zu kneifen und ihr mit der flachen Hand so fest auf die Hinterbacken zu schlagen, bis
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