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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Scham! Selbst unter den Christen soll es ihnen gelungen sein, sich willige Helfershelfer zu verschaffen, kaum weniger durchtrieben als sie. Der Brand der Ketzerei ist schnell entflammt und nur schwierig wieder zu löschen, das weißt du so gut wie ich! Du brauchst gar nicht so trotzig den Kopf zu schütteln, Bruno de Berck! Schließlich gibt es ja landauf, landab jede beliebige Menge Geständnisse!«
    »Ja, und zwar auf der Streckbank erzwungen oder in der eisernen Lotte herausgepresst! Gerade du würdest eifrig zwitschern, mein Freund, wenn erst der Stachel in dein Fleisch führe, und dich bezichtigen, wessen man dich auch beschuldige, da bin ich ganz sicher! Aber was sage ich da? Du warst schon immer ein unverbesserlicher Sturkopf. Und leider gibt es inzwischen viel zu viele, die ähnlich denken wie du. Und deshalb hat es keinen Sinn, hier weitere Worte zu verschwenden.«
    De Berck ließ ihn einfach stehen und wandte sich stattdessen an den Erzbischof, der schon eine ganze Weile teilnahmslos aus dem Fenster starrte, als ginge ihn das ganze Streitgespräch gar nichts an. »Eminenz, vielleicht sollte man …«
    »Ich werde auf Reisen gehen.« Walram hatte sich abrupt umgedreht. Seine Miene verriet Entschlossenheit. »Bald schon. Und zwar nach Paris. Mit nur wenigen Getreuen.« Er fasste Johannes van der Hülst scharf ins Auge. »Willst du einer davon sein, mein junger Freund?«
    »Ich?« Das Rot auf den eingefallenen Wangen vertiefte sich. Unsicher suchte Johannes Brunos Blick. »Aber natürlich gern, Eure Eminenz!«, sprudelte er dann heraus, als er sah, wie der Mönch zustimmend nickte. »Wie jedoch komme ausgerechnet ich zu dieser Ehre?«
    Er erhielt keine Antwort darauf.
    »Ich bin all dessen hier so müde.« Walrams Arme vollzogen einen Halbkreis, der den Raum, die Mönche, ja, die ganze Welt einzuschließen schien, um dann umso kraftloser wieder herabzusinken. Er war nicht wie gewohnt in seinem Ornat, sondern trug an diesem Nachmittag einen Trappert aus schwerem schwarzem Samt, ganz wie die weltlichen Herren nach der letzten Mode; an seinem Finger funkelte der große violette Stein im letzten Sonnenlicht. Seine Worte freilich hätten zu diesem Aufzug gegensätzlicher nicht sein können. »Wozu der ganze Aufwand? Das Getöse? All der Prunk? Ein König stirbt, der nächste wird gewählt. Und ein Gegenkönig sofort dazu, der das Lager der Fürsten erneut spaltet und wieder nichts als Zwist und Unfrieden heraufbeschwört. Wie im Großen, so im Kleinen, alles wiederholt sich ohne Unterlass, bis man außerstande ist, darin noch Sinn zu finden. Die Schulden an meinen Bruder Wilhelm sind endlich nahezu zurückgezahlt, und schon reißen überall neue Löcher im Säckel auf, die dringend gestopft werden müssen. Geld und Macht, Macht und Geld - man könnte fast meinen, es gäbe nichts anderes mehr auf dieser Welt!«
    Er seufzte tief auf.
    »In Wahrheit jedoch sehnt sich mein Herz vor allem nach Einfachheit. Nach Kontemplation, Versenkung und Gottesnähe. Nach der Stille zwischen den Noten, die sich in der Kathedrale gen Himmel schwingen, um Gottes Lob zu verkünden nach dem Raum zwischen zwei Tönen, der so klar, so unendlich kostbar ist.« Walram wandte sich ganz plötzlich an Johannes, als seien sie nur zu zweit im Raum und die anderen mit einem Schlag unsichtbar. »Ich bin sicher, mein junger Freund, du verstehst genau, was ich damit sagen möchte.«
    Johannes nickte überrascht. »Vor Gott sind wir alle nackt und bloß. Unser Leben ist nicht mehr als eine Reise, unser Tod nur ein Übergang. Wir müssen sterben, um endlich zu leben. In Gott!«
    Walrams Miene war unergründlich. In seinen Augen aber brannte ein seltsames Feuer.
    »Lasst mich jetzt allein!«, sagte er barsch. »Für heute mag es genug sein.«
    Die Mönche verneigten sich gehorsam und gingen langsam zur Tür.
    »Halt, du nicht.« Johannes van der Hülst blieb zögernd stehen, wie gebannt von der vollen, fordernden Stimme, der man sehr wohl anhörte, dass sie zu befehlen verstand. »Du bleibst. Für dich habe ich anderweitig Verwendung.«
     
    Seit Ardins Beerdigung lag ein grauer Schleier über Annas Welt, der alles trüb und beschwerlich machte. Manchmal war sie so müde, dass sie am liebsten gar nicht mehr aufgestanden wäre, und hätte es Flora nicht gegeben, die ihre Rechte ungestüm einforderte, sie wäre wohl an drei von vier Morgen einfach zusammengekrümmt in der Bettstatt liegen geblieben und hätte sich die Decke über den Kopf gezogen, um ja

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