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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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höheren Lohn feilschten und alles kleinschlugen, als man ihn ihnen verwehrte. Oder die Fleischergesellen, die ihr freches Aufbegehren gegen den Ratsbeschluss mit empfindlichen Strafen hatten büßen müssen. Besonders wohl schien er sich mit Lumpenpack ohne Haus und Besitz zu fühlen, mit dem er sich bis zum Morgengrauen herumtrieb und erst eine Ecke zum Schlafen suchte, wenn ehrbare Handwerker schon wieder mit ihrem Tagwerk begannen. Am liebsten aber war er allein unterwegs, ein Wolf, der einsam seine nächtlichen Runden drehte.
    Sie war erschrocken, als sie ihm das letzte Mal begegnet war, obwohl er bei ihrem Anblick seinen verunstalteten Mund zu einem Lächeln verzogen und Flora unbeholfen das Köpfchen getätschelt hatte. Wäre er nicht ihr Verwandter, sie hätte vor Schreck aufgeschrien und einen weiten Bogen um ihn gemacht. In seinen Zügen entdeckte sie nichts Menschliches mehr. Die gebückte Haltung, der lautlose Schritt, die gefletschten Lefzen erinnerten sie an ein wildes Tier auf Beutezug.
    Seltsamerweise wich Regina ihr aus, als sie sie ganz direkt darauf ansprach. Die Begine hatte sich während des Winters angewöhnt, mehrmals in der Woche nach ihr und der Kleinen zu sehen. Mal brachte sie getrocknete Kräuter mit, um mit einem Tee aus Süßholzwurzel und Thymian gegen Floras hartnäckigen Husten anzugehen, dann wieder frische Eier oder ein paar der eingelegten Salzheringe, damit sie nach einer Erkältung wieder schneller zu Kräften kam. Insgeheim aber wussten beide Frauen, dass es nicht um ein paar Mittelchen geschweige denn Leckereien ging. Die Wahrheit war, dass sich Regina um Anna und Flora ständig Sorgen machte und jedes Mal erst beruhigt war, wenn sie sich mit eigenen Augen überzeugt hatte, dass beide, Mutter und Kind, wohlauf waren.
    »Du siehst Guntram nicht gerade oft, oder?«
    »Er geht seine Wege, ich die meinen.« Reginas Miene war undurchdringlich. »Übrigens schon seit langer Zeit.«
    »Aber er ist doch dein Bruder! Und in wahrhaft keiner guten Verfassung.« Sie berichtete ihr in Kürze von ihrer letzten unheimlichen Begegnung. »Er war wie ein Wolf, Regina, so allein, so verletzt! Ich glaube, er bräuchte dringend jemanden, dem er sich anvertrauen könnte.«
    Eine strenge Falte erschien auf Reginas Stirn.
    »Ich wäre sicherlich die Letzte, von der er sich raten ließe. Weißt du, Anna, bei Guntram sind es immer die anderen, die schuld an allem sind. Und selbst wenn es so wäre, so hat er doch sein eigenes Schicksal zu tragen, das ihm keiner abnehmen kann. So wie ich meines. Und du deines.« Sie nahm ein herumliegendes Strickzeug auf, als könne sie es kaum ertragen, dass ihre Hände länger als ein paar Augenblicke unbeschäftigt blieben.
    »Hat er früher nicht ständig etwas gebaut und konstruiert?« Anna war entschlossen, nicht schnell klein beizugeben. »Er wollte doch immer die Zeit messen. Ganz besessen war er davon!«
    »Es fing damit an, dass er viele Dinge verbessern wollte oder neu erfinden. Aber dann gab es Schwierigkeiten, mit denen er wohl nicht gerechnet hatte. Jetzt ist er verbittert und glaubt, sein Ziel nur noch dadurch erreichen zu können, indem er zerstört, womit er nicht einverstanden ist. Hast du auch gehört, dass man ihn mit Raufbolden und Feuerteufeln herumziehen sieht? Wenn er so weitermacht, wird er eines nicht allzu fernen Tages noch am Galgen enden. Oder auf dem Scheiterhaufen.«
    »Du bist so hart, wenn du über ihn sprichst«, sagte Anna und schickte Flora mit einem Vorwand hinaus. Die Kleine musste nicht alles hören, worüber sie mit ihrer Tante sprach. »Fast unbarmherzig. Wie bei keinem anderen.«
    »Vielleicht weil er etwas in mir anrührt, was ich am liebsten ungeschehen machen würde. Oder zumindest für den Rest meines Lebens vergessen.« Annas Augen gingen auf, wurden groß und fragend. Regina schüttelte energisch den Kopf. »Aber ich kann es nicht. Und werde es niemals können. Bitte frag mich nicht danach, Anna. Ich kann dir keine Antwort geben, die dich zufriedenstellen würde.«
    »So hast du ihn aufgegeben?«
    »Er ist alt genug, um zu wissen, was er tut. Und jetzt lass uns von anderen, erfreulicheren Dingen sprechen!«
    Aber natürlich gingen die Gedanken an Guntram nach wie vor in Regina um, als sie sich auf den Rückweg zum Konvent machte. Dabei gab es reichlich andere Sorgen, mit denen sie sich besser beschäftigt hätte. Eigentlich hatte sie an diesem Nachmittag Anna vor allem besucht, um einmal ihr Herz auszuschütten. Mit wem

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