Pforten der Nacht
Sitten und Gebräuche, die jeden echten Gläubigen einfach nur anwidern und abstoßen. Die Juden sind fremd und andersartig, immer gewesen. Vielleicht ist deshalb jetzt die Zeit gekommen, wo sie für ihre Halsstarrigkeit bezahlen müssen.«
»Unsere Aufgabe ist es, auch den Ungläubigen das Evangelium zu bringen«, erwiderte de Berck, der endlich zum Antworten kam. »Friedlich und voller Liebe, wie Franziskus es uns vorgemacht hat. Unsere Waffe ist das Wort, nicht das Eisen. Allein in diesem Sinn sind wir Krieger Gottes. Davon, dass wir sie töten sollen und ihres Eigentums berauben, ist nirgendwo die Rede. Außerdem spricht sich der Heilige Vater ganz unmissverständlich dafür aus, dass man die Juden nicht an der Ausübung ihrer Religion hindern solle.«
»Selbst wenn sie nicht einmal vor der Todsünde des Selbstmords zurückschrecken, anstatt zu bereuen und Buße zu tun?« Kustos’ Augen stachen weißlich. »Ist Jesus etwa für uns am Kreuz gestorben, damit sich ein paar verbohrte Hebräer einfach so über diesen Opfertod hinwegsetzen dürfen?«
»Christi Tod am Kreuz ist die Rückkehr des Lichts zu seinem ursprünglichen Prinzip.« Alle starrten auf den jungen Mönch, der bislang geschwiegen hatte. Seine Züge schienen wie von innen erhellt, als er weitersprach. Er war ganz offenbar von jedem seiner Worte durchdrungen. »Und damit die Rückkehr des Geschöpften zu Gott. Denn Jesus hat nicht nur sein Blut für uns vergossen und ist gestorben, sondern auch am dritten Tag wieder auferstanden. Deshalb darf jeder Gläubige dieses Wunder in Freude und Ergebenheit feiern.«
»Euer Schüler?«, erkundigte sich Walram nicht ohne Wärme. Bruno de Berck nickte. »Ein beachtlicher junger Mann, wie mir scheint. Ist er schon lange bei Euch im Orden?«
Johannes errötete. »Drei Jahre«, sagte er einfach. »Und ich danke dem Allmächtigen jeden Tag dafür.«
Walram runzelte angestrengt die Stirn, als ob er nach einer Erinnerung krame. Dann entspannten sich seine Züge. Offenbar hatte er das Gesuchte gefunden. »Einer der Büßer?«, fragte er knapp. »Damals, bei jener Karfreitagsprozession?«
»Einer der Büßer«, bestätigte Johannes. »Ein Erlebnis, das ich niemals vergessen werde. Aber ich habe mir schon gewünscht, Gott zu dienen, seit ich denken kann.«
»Diese ›Fremden‹, wie du sie zu nennen beliebst, stehen allerdings unter dem direkten Schutz des Königs«, kam de Berck in scharfem Ton auf das vorherige Thema zurück. Kustos hatte sich mit geballten Fäusten ihm gegenüber aufgebaut, als sei er bereit, schon im nächsten Augenblick zuzuschlagen. »Wer sie angreift, attackiert und beleidigt damit auch ihn. Vielleicht hast du das in deiner Ereiferung ganz zufällig vergessen. Von dem gültigen Schutzbrief einmal abgesehen, den Magistrat und Stadtherr« - eine leichte Neigung zu Walram - »ihnen ausgestellt haben.«
Bruno wechselte elegant die Haltung, stand da wie einer, der seit Langem gewohnt war, vor großem Publikum zu sprechen.
»Was sollte außerdem mit ihnen geschehen, nachdem sie sich zum rechten Glauben bekannt haben und tatsächlich taufen ließen? Hast du darüber schon einmal nachgedacht, Johannes? Ihren Wucher können sie nicht weiter betreiben. Denn das verbieten die Gesetze unserer Kirche! Und in die Zünfte oder Ämter lässt man sie nicht hinein. Das hieße folglich, sie wären künftig einzig und allein auf den Bettel angewiesen. Eine Aussicht, die nur wenige überzeugen wird, diesen Weg zu gehen.«
»Nichts als Spitzfindigkeiten!«, kam es kaum weniger scharf zurück. »Wer einen Weg sucht, der Höllenverdammnis zu entgehen, wird ihn auch finden. Aber sie wollen ja gar nicht! Die Juden sind königliche Kammerknechte, nicht mehr und nicht weniger. Ein Regal unter vielen anderen, mit dem der König nach Belieben verfahren kann. Meiner Meinung nach hat die gesamte christliche Nation ohnehin lang genug Geduld mit ihnen gehabt. Und in schwierigen Zeiten wie diesen, wo die Pest ganze Landstriche entvölkert …«
»… genügen ein paar haltlose Anschuldigungen, um Menschen einfach zu brennen und zu morden? Ist es das, was du sagen wolltest?«
»Sie sind schließlich die Mörder Christi«, beharrte Kustos eigensinnig. »So steht es in der Heiligen Schrift. Oder willst du in deiner Selbstherrrlichkeit etwa das Zeugnis der Evangelisten anzweifeln? Wieso sollten sie dann nicht auch Gift ausstreuen, um uns alle mit der Pest zu schlagen? Sie sind wahrlich ohne Rast und Ruhe, ohne jegliche
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