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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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sie vor Lust laut aufschrie. Dann kam auch er, röhrte sein Verlangen, seinen Schmerz, seine Einsamkeit in die Welt und fiel grunzend auf ihr zusammen.
    Hinterher freilich tat er, als sei nichts geschehen, mied sie oder war so derb und ungehobelt zu ihr, dass es sogar den anderen Gästen auffiel. Und wenn schon! Er würde wieder in ihre Kammer schleichen, das wusste sie genau, mitten in der Nacht, wenn alle anderen schliefen. Es machte ihr nichts aus zu warten. Das hatte sie in ihrem kurzen Leben schon zur Genüge gelernt. Hauptsache, sie gehörte zu Guntram, und nichts und niemand war imstande, sie davon abzubringen.
    Einfach freilich war es nicht mit ihm. Ein falsches Wort, eine unvorsichtige Frage - und schon konnte seine Laune blitzschnell umschlagen. Nur wenn er reichlich getrunken hatte, wie es in letzter Zeit immer öfter vorkam, war er manchmal weich und redselig. Dann schmiegte er sich an sie oder barg seinen Kopf in ihrem Schoß wie ein kleines Kind. Manchmal verlangte er, an ihren Brüsten zu saugen, forderte sie auf, ihm den Rücken zu kraulen oder mit den Fingern durch das Haar zu fahren.
    »Weißt du, dass ich niemals eine Mutter hatte?« Seine Stimme war undeutlich.
    »Ich weiß«, erwiderte sie vorsichtig.
    Und ich weiß auch, wer deine Mutter wirklich ist. Eines schönen Tages werde ich es dir erzählen. Um mit eigenen Augen dabei zuzusehen, wie du sie mit beiden Händen erwürgst für das, was sie dir angetan hat.
    »Sie hat mich verlassen, als ich ganz klein war.«
    Mich auch, mein Liebster. Mich auch. Obwohl ich nichts lieber als ihre kleine Tochter sein wollte.
    »Ins Wasser ist sie gegangen.«
    Leider noch nicht. Aber welche Freude es sein müsste, die stolze Begine langsam untergehen zu sehen!
    »Weil ich so hässlich bin. Ein Teufel in Menschengestalt. Mit einem Höllenmaul, vor dem alle Angst haben. Seitdem bin ich allein. Mutterseelenallein.« Er begann rau zu lachen. »Sogar Beelzebub macht bisher einen weiten Bogen um mich. So schlimm muss es um mich stehen!«
    »Ich hab keine Angst davor«, sagte Ursula bestimmt. »Ich nicht!«
    »Nein?« Er kam schwerfällig nach oben. Seine Augen waren blutunterlaufen, die Lidsäcke geschwollen. Seitdem er so viel trank, waren seine Reaktionen langsamer geworden. Er hatte an Gewicht zugelegt, war kräftig jetzt und schwer. »Und weshalb nicht?«
    »Weil es mir egal ist. Und erst recht, was die Leute reden! Sollen sie sich doch die Mäuler zerreißen. Wir beide gehören zusammen, Guntram! Denn wir sind zwei, deren Namen man sich noch merken wird.«
    »Lass mich in Ruhe«, verlangte er und wandte sich ab. »Du bist doch auch nur wie die anderen - ein Weib! Sonst nichts. Was bildest du dir ein, du Hure? In ein paar Jahren ist dein Fleisch welk, dann hast du keinen Taug mehr, verstanden? Kein Hahn kräht mehr nach dir, und du landest wieder da, wo du hergekommen bist - in der Gosse! Mich aber wird keiner vergessen, das schwöre ich dir, kein Christ und erst recht kein Jude! Und wenn ich es ihnen klaftertief in ihre gottverdammten Seelen hineinbrennen muss!«
    Er ließ sie liegen, polterte grußlos hinaus. Sie würde ihn Tage nicht wiedersehen, wenn nicht Wochen. Vielleicht aber konnte sie in der Zwischenzeit wenigstens etwas tun, woran er sie erkennen würde. Und was er ihr bedeutete. Wenn nicht heute, dann irgendwann. Spätestens dann, wenn er endlich die ganze Wahrheit über sich und Regina Brant erfahren würde.
    Ursula dachte eine Weile nach, dann nahm ein Gedanke in ihrem Kopf mehr und mehr Gestalt an, der sie nicht zum ersten Mal gestreift hatte. Damit konnte sie ihr wehtun, der eingebildeten Hexe, die tat, als sei sie gar nicht mehr auf der Welt. Als sei sie nichts als ein Klumpen Schmutz, an dem man angeekelt vorbeischauen musste.
    Furchtbar weh.
    Sozusagen als ersten Vorgeschmack für den Schmerz, der ihr noch bevorstand.
     
    In der dritten Nacht wachte Regina Brant schweißgebadet auf, rang nach Luft. Im Traum hatte sie wieder den schweren Körper ihres Vaters gespürt, der sie zu zerquetschen drohte. Dazu sein Branntweingeruch an ihrem Hals, sein betrunkenes Lallen an ihrem Ohr. »Machst mich fertig, kleine Teufelin, mit deinem Gang, deinen Brüsten, deinem Gurren, aber ich krieg dich, ich werd dich immer kriegen, wohin du dich auch verkriechst. Das schwöre ich dir. Bei meinem Leben … bei meiner Seele …«
    »Du bist tot«, sagte sie zornig in die tröstliche Ruhe ihrer Kammer hinein. »Lange schon. Und deine Seele hat sich längst der

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