Pforten der Nacht
Juden gewütet haben - und nicht Gott!«, entgegnete Blanckenberg scharf. »Hirnlose, ohne ein Fünkchen eigenen Verstandes, die man gezielt zum Plündern, Brennen und Töten angestiftet hat.«
»Schweigt, sage ich, haltet doch Euren Mund! Was wisst Ihr schon? Was maßt Ihr Euch an! Mein Liebstes habe ich verloren. Das Einzige, was auf dieser Welt für mich gezählt hat. Und daher werde ich nicht dulden, dass einer wie Ihr das Ansehen meines Sohnes in den Schmutz zieht!«
Jan van der Hülst ging mit Fäusten auf ihn los. Schnell traten ein paar der anderen Ratsherren dazwischen und trennten die Streitenden.
»Gemach, gemach, meine Herren! Wir plädieren dafür, Ihr verschiebt Euren Disput auf ein anderes Mal!« Heinz Lyskirchen trat als Sprecher einer Mehrheit auf, die langsam ungeduldig wurde. »Was geschehen ist, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Jetzt geht es um die Probleme, die wir hier zu lösen haben.«
Sie einigten sich schließlich darauf, den hiesigen Karwertschen vorerst das Recht zuzugestehen, den jetzt vakanten jüdischen Wucher ab sofort zu übernehmen. Denn die Leute in Köln brauchten Geld und wurden allmählich unruhig, weil sie nicht wussten, wo sie es leihen konnten. Nicht alle freilich waren mit dieser Maßnahme einverstanden.
»Das heiße ich den Teufel mit Beelzebub persönlich austreiben!«, murrte Matthes Gries, dem viele Häuser in Köln gehörten und dessen Vorfahren es mit Woll- und Seidenhandel zu Wohlstand und Ansehen gebracht hatten. Andere schlossen sich seiner Ansicht an. »Sie nehmen dreiundvierzig Prozent - um keinen Deut weniger als die jüdischen Keuffer zuvor! Und wir schauen zu, wie sie auf unsere Kosten reich werden. Wieso halten wir uns nicht an das Beispiel der Frankfurter Ratsherren? Die haben rechtzeitig dafür gesorgt, dass alle Schulden, die ihre Bürger bei den Juden hatten, nun auf sie übergehen!«
»Dort hat man auch nicht vollständig das Judenviertel abgefackelt und alle Geschäftsbücher mit dazu! Eine Interimsregelung außerdem, nichts weiter. Ist erst einmal der neue Erzbischof in der Stadt zurück, sehen wir weiter. Auf Dauer müssen ohnehin neue Möglichkeiten erwogen werden. Etwa wie die Banken, die jetzt überall in Italien eröffnet werden. Wenn für sie das kirchliche Zinsverbot außer Kraft gesetzt ist, wieso dann nicht auch für uns? So könnten wir auf Dauer von beiden unabhängig werden - von Juden und Lombarden, die dahin zurückkehren sollen, woher sie stammen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass unser künftiger Stadtherr ein offenes Ohr dafür hat.« Gero von Blanckenberg war ein offener Anhänger der Kandidatur Genneps. »Er scheint ein vernünftiger Mann zu sein. Jedenfalls, wenn man seine bisherige Arbeit als Offizial des Domkapitels betrachtet.«
In dieser Funktion hatte Wilhelm von Gennep noch vor seiner Abreise nach Avignon all diejenigen öffentlich aufgefordert, die beim Sturm auf das Judenviertel widerrechtlich Vermögenswerte an sich genommen hätten, diese unverzüglich an den Rat auszuliefern. Außerdem fiel der gesamte jüdische Grundbesitz ebenfalls an den Magistrat, der über neue Vergabe oder Verkauf zu entscheiden hatte.
»Äußerst umsichtig, sich dabei der Hilfe der Geistlichkeit zu bedienen! Sonntag für Sonntag malen sie nun in ihren Predigten aus, was denen droht, die selbst geplündert oder gestohlen oder andere dabei beobachtet und es nicht bei uns angezeigt haben«, bekräftigte Lyskirchen. »Seitdem steigt die Zahl der Meldungen erfreulich.«
»Vielleicht erhalten wir auf diese Weise letztlich auch Aufschluss darüber, wer das Morden angeordnet hat«, kam es von Blanckenberg. »Und vor allem bezahlt! Ich meinerseits bin nicht bereit, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Und das sollte auch für den Rat der Stadt Köln gelten!«
Eine neuerliche Attacke gegen Jan van der Hülst, der stumpf auf seine Schnabelschuhe starrte, als ginge ihn all das nichts an. Kurz danach schützte er plötzliche Unpässlichkeit vor und verließ die Sitzung als Erster.
Er fühlte sich wirklich miserabel. Seine Brust brannte, als wüte ein verzehrendes Feuer darin, seine Hände waren eisig, auf der Stirn stand kalter Schweiß. Im strömenden Regen lenkte er sein Pferd erst in Richtung Kaufhausgasse, dann freilich besann er sich anders und ritt zu dem Haus am Neumarkt.
Nana Tarlezzo empfing ihn überrascht. Er entdeckte noch die Spuren eines Mahls auf dem Tisch aus Pinienholz, den er ihr vor ein paar Jahren von den Balearen
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