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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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mit schwarzer Mähne und beunruhigend wachen Augen. Sein Mund war so rot wie damals, aber er lachte nicht mehr so bereitwillig. Das fiel Anna als Erstes auf, als sie ihn in die Stube holte, wo sie gerade mit Regina beim Spinnen saß.
    Sie bewirtete ihn mit Most und Gerstensuppe und ließ ihn erst in Ruhe essen, bevor er ins Erzählen geriet. Bocca war viel herumgekommen, seit seinem letzten Besuch in Köln. In Italien war er gewesen, in Kärnten und Prag, dann aber vor der Pest wieder nach Westen geflohen. Im Frühjahr wollte er weiter, nach Flandern, ein reiches Land, wie er sagte, mit offenen, weitgereisten Menschen, wo der Himmel weit war und das Meer unendlich. Unwillkürlich zuckte Anna zusammen. Hatte Esra nicht etwas ganz Ähnliches erwähnt? Die Erinnerung an ihn schnürte ihr den Hals zu. Warum nur war sie nicht mit ihm gegangen, als noch Zeit dazu gewesen war?
    Sie versuchte, nicht mehr daran zu denken und sich auf das zu konzentrieren, was Bocca noch immer nicht losließ.
    »So viele Tote überall!« Sein Mund zuckte. »Manchmal sehe ich die Leichenberge sogar in meinen Träumen. Dann wache ich auf, zitternd und frierend, und weiß, dass ich auch bald sterben muss.«
    »Einer wie du lebt hundert Jahre, Bocca, mindestens!«, widersprach Anna.
    Verwundert schaute er von ihr zu Regina. »Wie könnt Ihr das behaupten? Habt Ihr hier denn keine Angst vor der Pest? Mich hat gewundert, dass sie einen fahrenden Spielmann wie mich überhaupt nach Köln hereingelassen haben. Andernorts hat man sich längst gegen alle Fremden verbarrikadiert.«
    »Unsinn!« Regina ließ die Spindel heftig tanzen. »Bis jetzt haben wir noch keinen einzigen Pestkranken zu beklagen. Und ich bete zum Allmächtigen, dass das auch so bleibt! Es soll nämlich Orte geben, um die der Schwarze Tod einen Bogen macht. Warum also nicht auch Köln? Außerdem haben wir in unserer Apotheke seit Langem Vorräte für den Notfall angelegt. Gundelrebe zum Beispiel, das auch zu den neun grünen Kräutern für den Gründonnerstag gehört. Oder Wacholder, mit dem man im ganzen Haus Räucherungen vornehmen kann. Dazu Holunder, Salbei, Rosenwasser und Walnuss, Wegerich und selbst die unauffälligen kleinen Gänseblümchen, deren heilsame Wirkung viele unterschätzen. Benediktenkraut nicht zu vergessen, innerlich und äußerlich angewandt. Vor allem anderen freilich Giftlattich, den man nicht umsonst auch Pestwurz nennt - unsere Regale reichen bald nicht mehr aus!«
    »Die einen schwören auf kalte Bäder und salzloses Essen«, sagte Bocca nachdenklich. »Die anderen auf reinigendes Feuer, viel Wein und Fasten. Manche rufen in ihrer Not den Teufel an; andere bitten Gott um Gnade und Vergebung ihrer Sünden. Sterben müssen aber schließlich alle, bis auf die wenigen, deren Beulen schließlich aufplatzen, ihnen zwar unerträgliche Schmerzen bereiten, sie aber wenigstens am Leben lassen. Aber das ist nicht mehr als eine Handvoll, wie ich mit eigenen Augen gesehen habe. Gegen diese Seuche scheint bislang noch kein Kraut gewachsen!«
    Regina warf ihm einen missbilligenden Blick zu und verabschiedete sich bald. Er hatte ausgesprochen, was sie seit Wochen bedrückte. Die Pest wütete bereits in Trier und Koblenz. Seit ein paar Tagen sollte es angeblich auch in Worms und Bonn die ersten Toten geben.
    Sie starrte zum Himmel, der wie ein nasses, graues Tuch über der Stadt hing. Es war mild, entschieden zu mild für die Jahreszeit, aber der Regen wollte nicht aufhören. Bald würden wieder die schrillen Glocken läuten, die Überschwemmungsgefahr anzeigten. Sie hätte schwören können, dass Wasser schon jetzt in zahlreiche Kellergeschosse sickerte. Das Schlimmste daran war bis jetzt die Rattenplage, die damit verbunden war. Die Nager hatten offenbar bereits ihre gewohnten Schlupflöcher verlassen, drangen überall ein und fraßen oder verunreinigten, was man nicht rechtzeitig vor ihnen in Sicherheit brachte. Selbst die reinliche Beginenküche war nicht mehr vor ihnen sicher. Eigentlich hätten sie dringend eine neue Katze gebraucht, um ihnen den Garaus zu machen; aber seit Vivas schrecklichem Ende hatte sie es nicht übers Herz gebracht, sich darum zu kümmern.
    Sie stapfte weiter, mit sorgenvoller Miene und einer Schwermut im Herzen wie schon lange nicht mehr.
    Bocca quartierte sich wie gewohnt in der Scheune ein, wo er sich daran machte, seine wenigen Habseligkeiten instandzusetzen. Das Wetter war zu schlecht, um auf dem Alten Markt Kunststücke zu zeigen, und die

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