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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Kleidern zu suchen.
    Von Johannes keine Spur weit und breit.
    Anna, noch immer ganz benommen, bedeckte sich ebenfalls. Der Zauber der Nacht war verflogen. Sie wagten kaum, sich noch gegenseitig in die Augen zu schauen.
    Tränen liefen über sein Gesicht. »Sein Vater hat wirklich keine unnütze Zeit verloren!«, schrie er Anna an. »Hat er ihn vielleicht geschickt, um mich von ihnen fernzuhalten? Wusstest du, was er vorhatte? So rede!« Er rüttelte sie fest.
    »Du weißt genau, dass das nicht stimmt«, erwiderte sie zitternd. »Lass mich los, du tust mir weh! Glaubst du, er verrät ausgerechnet ihm seine Pläne?«
    »Sie brennen - und ich liege hier …«
    Sie wollte ihn zurückhalten, aber er riss sich los.
    »Ich muss zu ihnen, verstehst du denn nicht!«, schrie er. »Sie brauchen mich, Lea, Recha, Jakub, Aaron! Ich kann sie nicht wieder enttäuschen! Vielleicht kann ich ja noch retten, was zu retten ist!«
    »Geh nicht, Esra«, flehte sie. »Sie werden dich töten, wenn du ihnen in die Hände fällst. Und was nützt das deiner Familie? Wieso läufst du nicht weg und bringst dich in Sicherheit? Oder versteckst dich? Um meinetwillen? Um unseretwillen?«
    Er war schon hoch oben auf der Böschung. Der letzte Blick, den sie von ihm erhaschte, war wütend, voller Zorn und Verzweiflung.

Fünfzehn
    Als der Herbst kam und mit ihm der lang ersehnte Regen, atmeten die Menschen in Köln auf. Doch schon ein paar Wochen später verwandelte sich die anfängliche Erleichterung in Unbehagen, später sogar in Missmut und neuerliche Sorge. Denn was die anhaltende Sommerglut noch nicht verbrannt hatte, fiel jetzt den Fluten zum Opfer, die Tag für Tag auf die Stadt und das Umland herabrannen. Der große Fluss, schon längst kein träges Rinnsal mehr, das behäbig in seinem Bett floss, schwoll an und erreichte Höchstmarken; der Wein verfaulte am Stock, Apfel und Birnen waren winzig und madenzerfressen. »Der Himmel weint«, sagten viele in Köln und deuteten weniger nach oben, zu den grauen Wolken, die sich nicht lichten wollten, als vielmehr verstohlen in Richtung des ehemaligen Judenviertels, wo rußgeschwärzte Mauern noch immer wie Mahnmale standen. »Er kann nicht damit aufhören, bittere Tränen zu vergießen über die Schandtaten derer, die gemordet, geschändet und geplündert haben.«
    Der Schatten jener heißen Bartholomäusnacht lastete schwer auf der Stadt, die noch immer auf die Ernennung eines neuen Erzbischofs durch Papst Klemens VI. warten musste. Zuerst hatte es den Anschein gehabt, Nikolaus von Prag, der Kanzler König Karls IV., sei für das hohe geistliche Amt ausersehen, jetzt freilich hatte es den Anschein, als würde die Wahl doch eher auf den knapp vierzigjährigen Diakon und Domschatzmeister Wilhelm von Gennep fallen, der schon lange in Köln lebte, bei einigen der Richerzeche jedoch als adeliger Pfründenjäger verschrien war. Er befand sich gerade auf dem Weg nach Avignon, wo er dem Heiligen Vater seine Aufwartung machen wollte. Mit einer großen Geldsumme im Gepäck, wie man munkelte, um der allgemein bekannten Entscheidungsmüdigkeit des amtierenden Papstes mit gewichtigen Argumenten nachzuhelfen.
    Wer auch immer neuer Herr der Stadt werden würde, auf ihn warteten viele ungelöste Aufgaben. Die Synagoge war nicht nur bis auf die Grundmauern heruntergebrannt, man hatte sogar den Boden unter ihr aufgegraben, in der freilich vergeblichen Hoffnung, hier auf versteckte Schätze zu stoßen. Das Feuer hatte zunächst nur schrecklich unter den Häusern der Juden gewütet, später jedoch auf das gesamte Marktviertel übergegriffen. Folglich gab es auch bei den Christen etliche Tote zu beklagen, dazu erheblichen Schaden an Werkstätten, Lagerhallen, Wohnraum und Hausrat. Sogar das einstige Bürgerhaus, seit jeher Versammlungsort des Rates und ganz nah an der nun demolierten Judenmauer gelegen, war ein Raub der Flammen geworden. Schon lagen Pläne für einen Neubau vor, mit dem im Frühjahr begonnen werden sollte, höher, größer und repräsentativer als das alte Gebäude, aber es gab dennoch viele, die sein Verschwinden betrauerten und erst recht als Strafe des Allmächtigen ansahen.
    Um vieles schlimmer freilich war, was mit den Juden geschehen war. Hunderte waren in jener Nacht gestorben, erstochen worden oder erschlagen, verbrannt oder erstickt in ihren Häusern, die die Mordgesellen angezündet hatten oder die sie selber aus Verzweiflung angesteckt hatten, um ihnen nur nicht in die Hände zu fallen und vor

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