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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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gedrückte Stimmung in der Stadt ermutigte ihn ebenfalls nicht dazu. So hatte er viel Zeit, aufmerksam zu beobachten, was im Gerberhaus und in der Werkstatt vor sich ging. Besonders misstrauisch beäugte er Vinzenz, der ihm seinerseits unmissverständlich zu verstehen gab, wie wenig er von seiner Anwesenheit hielt. Anna bestand darauf, dass der junge Spielmann die Mahlzeiten mit ihr und Flora in der Küche einnahm; für die Gesellen und Hedwig deckte sie seit Ardins Tod in einem gesonderten Raum. Trotzdem ließ Vinzenz keine Gelegenheit aus, um immer wieder scheinbar zufällig in Stube oder Küche aufzutauchen.
    »Der führt sich auf, als sei er der Herr im Haus - nicht Ihr die Herrin!« Gerade war der hagere Mann missmutig wieder hinausgeschlurft. Bocca schaute ihm aufgebracht hinterher. »Und einen Ton hat er am Leibe!«
    »Vielleicht übt er schon insgeheim.« Anna versuchte ein Lächeln, was gründlich misslang. »Oder sollte ich mich doch für einen dieser hochnäsigen Meister entscheiden, die eher eine Magd als eine Hausfrau suchen? Manchmal denke ich, Vinzenz könnte trotz allem noch das geringere Übel sein.« Sie hatte ihm von den strengen Auflagen der Zunft erzählt und der Frist, die beinahe abgelaufen war. Inzwischen schlief sie keine Nacht mehr ruhig. Die Gedanken an das, was aus ihr, Flora und dem Haus werden sollte, ließen sie nicht mehr los. »Immerhin kenne ich ihn wenigstens. Arbeiten, das kann er. Und ein schlechter Kerl ist er auch nicht.«
    »Aber wortkarg und stets verdrossen. Und stinken tut er noch dazu. Außerdem doch viel zu alt für Euch!«
    »Mit jungen Männern scheine ich wohl kein Glück zu haben.«
    Anna hatte die Hände sinken lassen und starrte in das Kerzenlicht. Eigentlich war diese Beleuchtung inzwischen viel zu teuer, zumal wenn sie ihre ungewisse Lage bedachte, aber sie hatte sich inzwischen zu sehr daran gewöhnt, um sich noch mit Ölfunzeln zufriedenzugeben.
    Bocca ließ sie nicht aus den Augen.
    »Ist es, weil die Große Mutter erneut Euren Leib gesegnet hat?«, fragte er vorsichtig. »Wollt Ihr ihn deshalb zum Mann nehmen?«
    »Was sagst du da?«, fuhr sie auf.
    Wie konnte er wagen auszusprechen, was sie sich selber seit Wochen verbat! Ihre Handflächen wurden feucht. Ihr Herz begann zu rasen. Und wieder begann sie verzweifelt zu rechnen. Es konnte nicht sein. Es durfte nicht sein! Ihr Mondfluss war zwar seit Längerem ausgeblieben, aber es war ganz anders als damals mit Flora. Keine Übelkeit. Kein Schwindel. Weder Gier noch Ekel vor bestimmten Speisen. Im Gegenteil, sie fühlte sich körperlich so kräftig und gesund wie seit Langem nicht. Trotz ihrer Sorgen, trotz des unruhigen Schlafs. Und nicht einmal Regina, der sonst nie etwas entging, hatte ein einziges Wort darüber verloren!
    »Ich kann es fühlen«, sagte er leise. »Eine Gabe, die einige aus meinem Volk besitzen, Frauen wie Männer, die freilich nicht immer nur Segen ist, sondern auch Fluch bedeuten kann. Ich spüre das kleine Wesen, das in Euch wächst.«
    »Du musst verrückt sein.« Abrupt stand sie auf, begann, mit dem Geschirr herumzuklappern. »Du hast den Verstand verloren, Bocca!«
    »Da habt Ihr vermutlich gar nicht so unrecht!« Er hatte sich ebenfalls erhoben, stand dicht hinter ihr. »Wovor fürchtet Ihr Euch eigentlich, Frau Meisterin?«
    Da war sie wieder, jene verzauberte Nacht am Fluss, die sie in höchste Himmel geführt hatte! Und der schreckliche Morgen danach, der mit all dem sinnlosen Töten und Sterben wie ein Blick in den tiefsten Höllengrund gewesen war. Keinen ihrer beiden Geliebten hatte sie seitdem wiedergesehen, von keinem auch nur ein Wort gehört. Johannes schien für immer hinter den Mauern seines Klosters verschwunden; Esra vermutlich tot und längst verscharrt, wie all die anderen Juden auch. Und sie abermals schwanger! Plötzlich war sie sich ganz sicher. Ohne zu wissen, wer von den beiden Männern der Vater sein würde.
    War das die Strafe für das, was sie sich angemaßt hatten? Ein göttliches Exempel, weil sie bekannte Brücken hinter sich abgebrochen hatten und gewagt, miteinander ein neues, unbekanntes Land zu betreten, in dem es keine Regeln, keine Vorschriften gab? Konnte es wirklich Sünde sein, so zu lieben, wie sie es getan hatten?
    Tränen liefen über ihre Wangen.
    »Vor einem Leben ohne Liebe«, erwiderte sie leise. »Das ist es noch viel mehr, was mich schreckt, als das Gerede der Leute. Ich habe mich schon einmal dafür entschieden, wissentlich, mit kühlem

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