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Phantasie und Wirklichkeit

Phantasie und Wirklichkeit

Titel: Phantasie und Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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elf Uhr, da — in meiner Einfahrt...»
    Ullman erzählte seine Geschichte wirklich
nicht schlecht. Drei Augenpaare verrieten jetzt heftiges Interesse.
    «...vollkommen unversehrt — und sogar
blitzsauber. Und unterm Scheibenwischer an der Windschutzscheibe klemmte — das
da.»
    Er zog einen Brief aus der Brusttasche,
einen Brief, der in ordentlicher, kleiner, aufrechter Schrift geschrieben war,
ohne Anrede, Datum, Unterschrift oder Gruß. Ullmans Zuhörer lasen ihn einer
nach dem anderen:
     
    «Bitte
entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten. Aber ich brauchte so dringend einen
Wagen, und Ihrer stand gerade da. Ich habe ihn waschen und volltanken lassen —
bleifrei, wie in der Anleitung vorgeschrieben. Ihr Autolein war meine Rettung,
ehrlich, und ich bin Ihnen wirklich sehr zu Dank verpflichtet. Deshalb erweisen
Sie mir nun bitte die Ehre, und nehmen Sie dafür von mir die beiliegende Karte
an. Ich weiß, daß Sie gern in die Oper gehen. Ich war mir zwar nicht ganz
schlüssig, welche Vorstellung ich für Sie aussuchen sollte, aber für mich ist
Wagner der Größte, und meiner Meinung nach ist einfach
sein bestes Werk. Machen Sie sich also einen schönen Abend — und nochmals
vielen Dank.»
     
    Morse las den Brief als letzter. Ein
Ausdruck leichter Verwirrung lag auf seinem Gesicht — als Ullman eine
Eintrittskarte für die Vorstellung am kommenden Freitag hervorzog. Vierzig
Pfund!
    Puh!
    «Ist die echt?» fragte Stockman.
    «Guter Platz», antwortete Ullman,
«falls Sie das meinen. Ganz vorne.»
    Morse lächelte den kleinen Mann
freundlich an, als der im Scherz die Karte gegen das Licht hielt und so tat,
als wolle er ein Wasserzeichen auf seine Echtheit hin überprüfen.
    «Die ist echt genug, denke ich», sagte
er und wäre liebend gern selbst Besitzer dieser Karte gewesen.
    Wieder waren die Gläser leer, und Morse
kam zu dem Schluß, daß nun entweder er oder Stockman die nächste Runde ausgeben
müßte.
    Also Stockman.
     
    Der hintere Schankraum, so eng und
häßlich er auch war, war ein beliebter Treffpunkt und an diesem Mittag schon
fast bis auf den letzten Platz besetzt. Morse entschuldigte sich wegen seines
vorzeitigen Aufbruchs und drückte sich vorsichtig an der Dame zu seiner Rechten
vorbei, die sich offenbar stärker für Ullman als für ihr Kreuzworträtsel
interessiert hatte (zumindest hatte er den Eindruck, daß sie damit in der
Zwischenzeit kaum vorangekommen war).
    Er hatte übrigens ganz richtig gesehen:
Sie war in der Tat, wie die Mehrzahl der Umstehenden, Ullmans Ausführungen mit
großem Interesse gefolgt und hatte darüber hinaus auch noch ein paar andere
Dinge beobachtet. Zum Beispiel war ihr — und vielleicht wirklich nur ihr —
aufgefallen, daß Morse, absichtlich oder nicht, ganz vergessen hatte, Ullman
das Briefchen des Autodiebs wieder zurückzugeben. Und wahrscheinlich war sie
auch die einzige, die beobachtet hatte, daß die beiden — der, den die anderen
Morse nannten, und Ullman — sich auf eine fast konspirative Art zugeblinzelt
hatten. Na ja — war vielleicht doch ein etwas zu starker
Begriff für die Blicke, die die beiden getauscht hatten. Obwohl sie hätte
schwören können, daß irgend etwas dergleichen tatsächlich in der Luft hing.
    Sehr interessant!
    Und noch etwas war da. Nachdem Morse
gegangen war, hatte nämlich der kleine Herr ihr einen Blick zugeworfen, fast
so, als sei sie ihm von weitem bekannt. Was natürlich nicht der Fall war, denn
sie hatte ihn ja in ihrem ganzen Leben zuvor noch nie gesehen. Aber jetzt
dachte sie, daß da etwas — etwas beinahe Unheimliches in seinem Blick lag.
Etwas Unheimliches, ja, dieses Mal war der Begriff sicher nicht zu stark. Fast
kam es ihr so vor, als wüßte er etwas über sie, das ihr selbst kaum bewußt war.
     
    Morse bummelte noch ein halbes
Stündchen durch Blackwell’s, bevor er zur Cornmarket-Bushaltestelle
hinüberging. Während er nach Kidlington zurückfuhr, las er den Brief noch
zweimal und grübelte über dieses seltsame Zusammentreffen nach, daß ein
Autodieb — jemand, der Autos klaute! — seine höchst persönliche eigene
Einschätzung, was die bedeutendste Oper der Welt war, teilen sollte. Grübelte
auch über die beiden — verzeihlichen — Grammatikfehler nach, die sich in dem
Brief befanden, und über den anderen absolut unverzeihlichen, über den er noch
staunte, als er schon den Abhang zum Polizeihauptquartier hinaufmarschierte.
    «Na — schön zu Mittag gegessen,

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