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Phantasie und Wirklichkeit

Phantasie und Wirklichkeit

Titel: Phantasie und Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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vielversprechend
anzulassen. Weil nämlich, als er kam, nur ein einziger anderer Gast dagewesen
war, und zwar eine attraktive Brünette um die Dreißig mit unergründlich
tiefgrünen Augen. Da hatte er sich gesetzt, ganz in ihre Nähe, und sie hatte
kurz den Kopf gehoben und ihn angelächelt, sich dann jedoch gleich wieder ihrem
Kreuzworträtsel aus der Times zugewendet. Lind als er den ersten Zug aus
seinem Glas nahm, trug sie eben wieder ein Wort ein, und dabei fiel ihm auf,
daß sie mit der linken Hand schrieb und am Nagel des Mittelfingers eine breite
weiße Linie hatte, als wenn sie ihn sich irgendwo in einer Tür eingeklemmt
hätte.
    Ja, er war wirklich selbst schuld.
    Denn kaum waren sie seiner hier
ansichtig geworden, waren sie über ihn hergefallen. Wo man sich doch so lang
nicht gesehen hatte. Haben Sie was dagegen, wenn wir uns zu Ihnen setzen? Was
trinken Sie? Morse hätte natürlich vorgeben können, wegen eines dringend zu
lösenden Falles in Eile zu sein. Er tat es aber nicht. Die Aussicht auf ein
weiteres Bier stimmte ihn fröhlich, und er hörte sich antworten: «Best Bitter.»
    Der Vierte im Bunde, ein kleiner,
glatzköpfiger Herr mit rundem Bierbauch und einem Hörapparat im rechten Ohr,
erklärte sich bereit, die nächste Runde auszugeben. Morse kannte ihn von ein
oder zwei früheren Begegnungen und erinnerte sich, gehört zu haben, daß er noch
vor Kriegsausbruch als Flüchtling aus Deutschland hierhergekommen war und nun
in einem großen Haus im Norden von Oxford lebte — wenn er sich nicht irrte,
sogar ziemlich in seiner Nähe. In einem Haus, das offensichtlich bis oben hin
vollgestopft war mit wertvollen Sammlerstücken aller Art. Genau. Dr. Eric
Ullman hieß er und war Junggeselle. Wie Morse auch.
    «Auf Ihr Wohl, meine Herren!» Ullman
betonte die Worte sehr korrekt, fast sogar ein wenig pedantisch, wobei er das
Glas hob und seinen beiden Bekannten aus der Universität und dem Hauptkommissar
zuprostete. «Ich hoffe, Sie verzeihen mir, falls Ihnen das, was ich Ihnen jetzt
erzähle, ein wenig verwunderlich vorkommen sollte.»
    Keines der drei Augenbrauenpaare hob
sich mehr als einen Millimeter.
    «Ich glaube nämlich, Sie irren», begann
Ullman seine Ausführungen, «wenn Sie denken, heutzutage gäbe es unter Dieben
kein Ehrgefühl mehr. Aber lassen Sie es mich erklären. Ich bin nämlich letzten
Freitag hier im Oxforder Apollo Theatre gewesen und habe mir Cosi fan
tutte angesehen. In einer Aufführung des Welsh National. Wie Sie vielleicht
wissen, gastieren sie auch diese Woche noch. Jedenfalls kam ich gegen Viertel
nach elf heim und habe mir dummerweise nicht mehr die Mühe gemacht, den Wagen
in die Garage zu fahren. Und als ich am Morgen aus dem Fenster schaute, was sah
ich da? Nichts. Die Einfahrt war leer, der Wagen spurlos verschwunden. Einfach
weg.»
    «Ein Metro, nicht wahr?» fragte Price.
    Ullman nickte. «Ich fahre ihn schon
neun Jahre.»
    Stockman hüstelte. «Lohnt sich das
überhaupt, Eric? Ich meine, war der Wagen es denn noch wert, daß man ihn
klaut?»
    «Mir war er eine Menge wert», sagte
Ullman.
    Price grinste. «Na ja, wenn man ihn in
Zahlung gibt, kriegt man vielleicht noch dreihundert Pfund, oder? Mehr doch
bestimmt nicht.»
    «Gehört haben Sie nichts?» fragte
Morse.
    «Nein. Und wissen Sie was? Die haben
sogar noch das Gartentor zugemacht.»
    «Kann sein, daß sie ihn auf die Straße
hinausgeschoben haben», überlegte Morse. «Um keinen Lärm zu machen. Und bis zur
Ring Road ist es von Ihnen aus schließlich nur ein paar hundert Yards.»
    «So ungefähr.»
    «Haben Sie uns angerufen? Ich meine,
haben Sie die Polizei verständigt?»
    «Umgehend. Die sagten, wahrscheinlich
würde der Wagen in drei oder vier Tagen wieder auftauchen. Irgendwo draußen auf
dem Land, ohne Reifen, ohne Radio, ohne alles, was nicht niet- und nagelfest
ist eben, mit verbeulten Kotflügeln und kaputten Scheiben...»
    «So was ist wirklich eine
Unverschämtheit», sagte Price und schüttelte heftig den Kopf. «Diese jungen
Rowdies — na ja, ich wüßte sehr wohl, was ich denen dafür geben würde. Und zwar
sicher nicht bloß ein paar nette Stunden Arbeit in der Gemeinde!»
    «Ganz kleinen Moment noch», sagte
Ullman und hielt die rechte Hand in die Höhe. Die anderen schwiegen wieder.
    «Also, die in East Oxford haben nichts
herausbekommen. Gar nichts. Drei Tage vergingen. Dann, am Montag, letzten
Montag, war ich abends im Randolph zum Essen eingeladen. Und als ich
zurückkam, ungefähr gegen

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