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Phantasie und Wirklichkeit

Phantasie und Wirklichkeit

Titel: Phantasie und Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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gehört.
    Aber sehr bald war aus dem Lächeln ein
Stirnrunzeln geworden. Dieselbe Schrift hatte er doch erst vor ein paar
Sekunden gesehen? Er nahm die Karte aus Kairo noch einmal von der Pinnwand, und
ja, die Handschriften stimmten zweifellos überein.
    Na und?
    Na und, Morse? Doch viele Sekunden lang
waren seine Augen so still wie die Augen, die von der Maske des Tutanchamun
blickten.
     
    Zwanzig Minuten später kam Lewis mit
forschen Schritten ins Zimmer und las sofort aus seinem Notizbuch vor:
    «Sheila Emily Poster, das Examen in
Englisch im St. Hilda’s 1990 mit bestanden, 25 Jahre alt, kommt aus
Bristol, Vater starb ‘84 — Hodgkinsche Krankheit. Mutter in einem
Spezialkrankenhaus dort, Alzheimersche Krankheit, einziges Kind, arbeitete eine
Zeitlang im Archiv der geologischen Abteilung der Universität, wohnt seit fast
zehn Monaten in diesem Haus, 490 Pfund monatlich, 207 Pfund auf der
Bausparkasse, 69,40 Pfund auf ihrem Girokonto bei Lloyds.»
    «Heutzutage kann man Zinsen auf
Girokonten bekommen, wußten Sie das, Lewis?»
    «Sehr nützlich zu wissen, Sir.»
    «Sie haben schnelle Arbeit geleistet.»
    «War leicht. Quästor vom St. Hilda’s,
Sozialamt, Lloyds Bank — keine Probleme. Mord hilft einem manchmal, nicht?»
    Ein plötzlicher Regenguß schraffierte
die Windschutzscheibe, und Morse starrte hinaus auf den melancholischen Tag:
     
    mein Lieb, In dem Land, wo du jetzt liegst...>
     
    «Bitte, Sir?»
    Aber Morse schien Lewis nicht zu hören.
«Da ist all das Zeug, Lewis...» Morse zeigte vage auf die Stapel von
Zeitschriften. «Sie sehen sie besser mal durch.»
    «Können wir nicht jemand anders...»
    «Nein!» wetterte Morse. «Ich brauche
Hilfe — Ihre Hilfe, Lewis. Machen Sie schon, Herrgott noch mal!»
    Weit entfernt davon, ärgerlich zu sein,
empfand Lewis eine stille Befriedigung. In nur einer Hinsicht war er etwas ganz
Besonderes als Polizeibeamter, das wußte er: Es gab nur einen Menschen, mit dem
der bärbeißige Morse mit einer gewissen Gelassenheit zusammenarbeiten konnte —
und das war er selbst, Lewis.
    Darum machte er sich mit dem gewohnten
Maß an Engagement an die Viertkläßler-Hausaufgabe, die Stapel von
Frauen-Magazinen, Modejournalen, Rundschreiben und ähnlichem durchzusehen, die
sich auf dem Boden und in den beiden Nischen des Wohnzimmers angesammelt
hatten.
     
    Er war noch immer bei der Arbeit, als
etwas über eine Stunde später Morse von seinem Mittagessen zurückkehrte, das er
ausschließlich in flüssiger Form zu sich genommen hatte.
    «Etwas gefunden?»
    Lewis schüttelte den Kopf. «Nur ein
oder zwei lustige Sachen.»
    «Und? Lassen Sie hören. Das Leben ist
traurig genug.»
    Lewis blätterte in einem der Stapel
zurück, fand ein Exemplar der Oxford Gazette (Mai 1992) und las von der
Rückseite vor:
     
     
    Putzhilfe
gesucht
     
    Drei
Vormittage wöchentlich Stundenlohn nach Vereinbarung Akademiker(in) bevorzugt
     
     
    Morse war nicht beeindruckt. «Wir sind
alle überqualifiziert hier in Oxford.»
    «Nicht alle.»
    «Wie lange brauchen Sie noch?»
    «Noch etwa eine halbe Stunde.»
    «Dann verlasse ich Sie jetzt.»
    «Was werden Sie tun, Sir?»
    «Ich werde weiter nachdenken. Wir sehen
uns im Präsidium.»
     
    Morse verließ das Haus und ging die
Cowley Road hinunter zur Plain, über die Magdalenbrücke und die High Street
weiter in die Catte Street zur Broad Street und stand dann einen Moment lang
unentschlossen vor der Blackwell’s-Buchhandlung und der schmalen Fassade
des angrenzenden White Horse () — bis ihm
plötzlich eine Idee kam.
    Er nahm bei St. Giles’ ein Taxi hinaus
nach Kidlington. Aber nicht zum Polizeipräsidium, sondern zur Bienheim Close
45, der Adresse, die auf dem Handzettel zum Krimi-Kurzgeschichten-Wettbewerb
angegeben war.
     
    «Sie kommen eigentlich ein bißchen zu
früh», gab Rex De Lincto, der kleine, dicke, fast glatzköpfige, etwas
schwerhörige Präsident der Oxford Book Association Morse zu verstehen. «Es sind
noch beinahe zwei Monate, und die meisten Einsendungen werden wir in der
letzten Woche oder so erhalten.»
    «Aber Sie haben schon einige?»
    «Neun.»
    De Lincto ging zu einem kleinen
Schrank, nahm eine handgeschriebene Namensliste heraus und reichte sie Morse.
    1 IAN
BRADLEY
    2 EMMA
SKIPPER
    3 VALERIE
WARD
    4 JIM
MORWOOD
    5
CHRISTINA COLLINS
    6 UNA
BROSHOLA
    7 ELISSA
THORPE
    8 RICHARD
ELVES
    9 MARY ANN COTTON
     
    Morse überflog die Liste, und

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