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Phantasie und Wirklichkeit

Phantasie und Wirklichkeit

Titel: Phantasie und Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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seine
Aufmerksamkeit konzentrierte sich bald auf den letzten Namen.
    «Merkwürdig», murmelte er.
    «Bitte?»
    «Mary Ann Cotton. Der gleiche Name wie
der einer Frau, die in den 1880er Jahren im Gefängnis von Durham gehängt
wurde.»
    «Tatsächlich?»
    «Und sehen Sie sich das an!»
Morse zeigte auf Nummer 5, Christina Collins. «Sie hat es fertiggebracht, sich
irgendwo in Staffordshire auf dem Kanal ermorden zu lassen.»
    «Ich kann Ihnen nicht so recht folgen,
Inspektor.»
    «Geben Einsender manchmal erfundene Namen
an?»
    «Das kann man nie wissen, nicht wahr?
Ich meine, wenn sie sagen, sie seien Donald Duck...»
    Morse nickte. «Dann sind sie
Donald Duck.»
    «Man würde vielleicht ein Pseudonym benutzen, wenn man ein etablierter Autor wäre...»
    «Aber dieser Wettbewerb ist nur für
Anfänger, oder?»
    «Sie haben das Kleingedruckte gelesen,
Inspektor.»
    «Aber woher wissen Sie dann, wer
gewonnen hat?»
    «Manchmal wissen wir es auch nicht.
Nicht am Anfang. Aber jeder Teilnehmer schickt uns eine Adresse.»
    «Ich verstehe.»
    Morse warf wieder einen Blick auf die
Liste, und plötzlich erstarrte er. Die Hinweise, jedenfalls einige, begannen
sich in seiner Vorstellung ineinanderzufügen. Der Handzettel zum
Kurzgeschichten-Wettbewerb, die Bemerkungen von Diogenes Small, diesem Guru
kreativen Schreibens, das Buch, das der junge Bayley sich geliehen hatte... die
Übersetzung von Vergils Äneis, in der Dido, die Königin von Karthago,
sich in Aneas verliebt hatte und sich dann in ihrer Verzweiflung erstach...
Dido... die bei den Phöniziern Elissa hieß!
    Morse zog einen Bleistift hervor und
machte einen schrägen Strich durch jeden der zwölf Buchstaben von ELISSA
THORPE, in einer, wie es De Lincto erschien, völlig willkürlichen Reihenfolge,
doch einer Reihenfolge, die für Morse den Namen SHEILA POSTER ergab.
    Morse erhob sich und sah zu dem kleinen
Schrank hinüber. «Sie geben mir wohl besser Geschichte Nummer sieben, wenn Sie
so freundlich sein wollen, Sir.»
    «Natürlich. Und wenn ich das sagen
darf, Sie haben eine sehr gute Wahl getroffen, Inspektor.»
     
    Nur eine Nachricht erwartete Morse, als
er in sein Büro im Präsidium zurückkehrte: Dr. Hobson hatte angerufen, um
mitzuteilen, daß Sheila Poster etwa in der zwölften Woche schwanger gewesen
sei. Aber Morse widmete dieser neuen Information nur geringe Aufmerksamkeit,
weil es etwas gab, was er sofort tun mußte.
    Darum lehnte er sich bequem in seinem
alten schwarzen Ledersessel zurück — und las eine Geschichte.

Teil zwei
     
    Doch immer
sind es jene fiktiven Addenda, die die wahre Alchimie bewirken.
    (Diogenes Small, Reflexionen über
Inspiration und Kreativität)
     
     
    Die Geschichte (hier wörtlich
abgedruckt), die Morse jetzt zu lesen begann, war sauber getippt und sorgfältig
verfaßt.
     
    Ich
hatte die Anzeige in der Gazette gesehen.
    Sie würde eine Frau sein, die stumm und
ohne Lächeln durch Türen ging, die für sie aufgehalten wurden, eine Frau, die
mit lauter Stimme am Schalter einer Bank sprach, eine Frau, die sich ihrer
angeborenen Überlegenheit über ihre Mitmenschen bewußt war.
    Kurz gesagt, sie würde eine Dame aus
Nord-Oxford sein.
    Und das war sie — eine Dame mit einem
Doppelnamen.
     
    Ich war befriedigt, wenn auch
überrascht, daß meine sorgfältig formulierte Bewerbung in Betracht gezogen
worden war, und ich erwischte den Bus rechtzeitig.
    Um genau halb elf ging ich über den mit
Steinplatten belegten Weg, der den unkrautfreien Vorrasen in zwei Teile
zerschnitt, und klopfte an die Tür von The Grange in der Squitchey Lane.
    Eine Viertelstunde später, nach einem
letzten Schluck des bitter schmeckenden Kaffees, hatte ich den Job in der
Tasche.
    Wie?
    Ich war mir nicht sicher, damals noch
nicht. Aber als sie mich fragte, ob mir der Kaffee geschmeckt habe, sagte ich,
daß ich Pulverkaffee vorzöge, und sie lächelte dünn.
    «Das sagt mein Mann auch immer.»
    Ich hoffe, meine Stimme zeigte kein
unangemessenes Interesse.
    «Ihr Mann?»
    «Er ist im Ausland. Die Amerikaner
holen ihn aus.»
    Sie stand auf.
    «Wissen Sie, warum ich Ihnen den Job
angeboten habe?»
    Es war ein wenig riskant, aber ich
sagte es: «Niemand sonst hat sich beworben?»
    «Es überrascht mich nicht, daß Sie
einen akademischen Grad haben. Sie sind wirklich intelligent.»
    «Danke.»
    «Sie brauchen das Geld, nehme ich an?»
    Ich senkte den Blick auf den dicken
Wiltonteppich und nickte.
    «Auf Wiedersehen», sagte sie.
    Sie stand an der

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