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Phantom der Lüste

Phantom der Lüste

Titel: Phantom der Lüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Nowak
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her, dass er sein Heim mit jemandem geteilt hatte. Vielleicht war es das Schicksal, das ihn letzte Nacht hinausgeschickt hatte, weil er wieder einmal nicht hatte einschlafen können. Die Furcht vor den dunklen Träumen war zu groß.
    In der Dunkelheit des Waldes hatte er die Gewänder des jungen Mannes schon aus der Ferne gesehen. Sie hatten sich auf und unterhalb des Hügels verteilt und trotz der mondlosen Nacht hell gestrahlt, gleich einem Wegweiser. Er war der eigenartigen Spur gefolgt und hatte den verletzten Jüngling am Fuße des Hangs gefunden, ihn hochgehoben und zu seiner Hütte getragen. Und als er auch noch das Herz des Burschen so dicht an seinem eigenen gespürt hatte, war der Wunscherwacht, dem Jungen zu helfen. Wie hätte er also seine Bitte ablehnen können?
    Zweifelsohne verbarg sich eine traurige Geschichte hinter dessen Worten und Enjolras brachte es nicht über das Herz, Jean vor die Tür zu setzen, auch wenn er ahnte, dass er sich mit ihm Schwierigkeiten ins Haus holte. Aber sei es drum. Jetzt war er hier. Bei ihm. Er musterte ihn genauer. Unter den Schwellungen verbarg sich ein schöner Mann. Feine Züge. Güldenes Haar, gleich dem eines Engels. Es leuchtete im Licht der Kerzen. Er war so anders als er selbst. Und so interessant.
    „Wir besprechen alles weitere morgen, jetzt versuche zu schlafen.“ Erneut strich er ihm eine Strähne aus dem Gesicht.
    Jean rollte sich zur Seite und Enjolras hatte nicht einmal bis drei gezählt, da war sein Patient vor lauter Erschöpfung eingeschlafen. Enjolras aber saß immer noch neben ihm und konnte sich nicht von seinem Anblick lösen.
    Wie friedlich Jean aussah, wenn er schlief. Vorsichtig nahm er dessen Hand und betrachtete die feingliedrigen Finger. Dieser Mann hatte nie hart arbeiten müssen. Und auch die edlen Gewänder verrieten, dass er aus gutem Hause stammte. Oder war es Diebesgut? Er wirkte ein wenig gehetzt. Als wäre jemand hinter ihm her. Enjolras kannte das Gefühl, die ständige Furcht. Aber hier war er sicher.
    Er würde sich um den Jungen kümmern. Dieser brauchte ihn. Und er brauchte vielleicht auch Jean, der ihm eine neue Aufgabe gegeben hatte, sein Leben plötzlich mit einem Sinn erfüllte.
    Leise erhob er sich und ging zu der Kochstelle, um Wasser zu wärmen und ein paar Kräuter zuzubereiten, welche den Jüngling stärken sollten, sobald er wieder aufwachte. Doch während sich Enjolras auf das Rezept konzentrierte, vernahm er plötzlich ein leises Stöhnen hinter sich, und als er sich umdrehte, sah er, wie Jean den Kopf von einer Seite zur anderen warf. Panisch. Verängstigt.
    „Nein … ich will das nicht … nein …“
    Hoffentlich hatte sein Schützling kein Fieber bekommen. Das wäre fatal. Fieber bedeutete, dass eine Entzündung im Körper war. Enjolras eilte zu ihm und legte seine Hand aufJeans Stirn. Aber die war glücklicherweise kühl. „Jean, wach auf. Es ist nur ein böser Traum.“
    Jean schreckte aus dem Schlaf und seine Arme klammerten sich um Enjolras Oberkörper, als suchten sie nach Halt. Noch immer ging sein Atem schnell, er spürte das viel zu schnelle Herz in Jeans schmaler Brust, doch er war nun wach.
    „Wo … bin ich?“
    „In Sicherheit“, flüsterte Enjolras und streichelte beruhigend über Jeans Rücken.
    Schluchzend vergrub der Junge sein Gesicht in Enjolras Brust. Welch schrecklicher Schmerz ihn quälen musste. Enjolras wünschte, er hätte ihm helfen, ihm diese Last abnehmen können. Was immer sie auch wog. Aber jetzt konnte er ihm nicht mehr geben als ein Paar starker Arme.

    „Er hat was getan?“
    Die wütende Stimme des Comte de Gavaine hallte durch das alte Gemäuer. Er stürmte die Treppe hinauf, bis zu Jeans Zimmer, dicht gefolgt von Francoise und ihren Eltern.
    „Wir bleiben keinen Tag länger!“, entschied Papa, dessen Gesicht vor Empörung puterrot angelaufen war. „Eine solche Frechheit habe ich noch nie erlebt! Ist meine Tochter ihm nicht gut genug? Oder wie darf ich das verstehen, Comte?“ Sie standen nun auf Jeans Balkon und musterten das Seil aus Schlafdecken, das bis zum Boden hing. „Eine Flucht vor der Ehe. Kalte Füße hat der junge Herr bekommen. Aber nicht mit meiner Tochter! Wir reisen ab!“
    „Nein, Papa, bitte warte.“
    „Was willst du denn noch hier, Liebes?“
    Ungeduldig trat Vater auf der Stelle, strich über die Klunker an seinen Fingern, wie er es immer tat, wenn er nervös war. Sein Gesicht fing zu glänzen an und unruhige Blicke huschten zwischen ihr und

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