Phantom der Lüste
Zumindest hatte er die Nacht durchgeschlafen. Das war schon ein gutes Zeichen.
Enjolras hingegen hatte kein Auge zugetan, denn Jeans Atem hatte ihn wachgehalten. Und die Tatsache, dass ein Herz neben seinem schlug. Es war ihm fremd geworden, sein Bett zu teilen, doch wegen der überschaubaren Größe seiner Liegestätte war es unvermeidlich gewesen. Enjolras bedauerte dies mitnichten. Im Gegenteil. Der gleichmäßige Rhythmus von Jeans Herz hatte etwas in ihm verändert. Er fühlte sich lebendiger, jünger, stärker. Darüber konnte er sich wohl kaum beklagen. Er war geradezu aufgekratzt, euphorisch. Und obwohl er auch diese Nacht kaum geschlafen hatte, war es doch eine angenehm entspannte Nacht gewesen. Ohne einen einzigen bösen Traum.
Aber Jeans Anwesenheit hatte noch mehr verändert. Er brauchte den jungen Mann nur anzusehen und plötzlich war da ein merkwürdiges Ziehen in seinem Unterleib, das er sich nicht erklären konnte. Er hatte es schon gespürt, als er den Jungen gefunden hatte. Aber jetzt wurden diese Empfindungen immer stärker, noch drängender. Es war ein Rauschen, eine Hitze, die seine Männlichkeit weckte. Heiß, prickelnd war die Härte emporgeschossen und er hatte sich dafür verflucht. Der arme, unschuldige Junge!
Sacht, doch fordernd war seine Spitze immer wieder gegen die Decke gestoßen, hatte sich an ihr gerieben und der Reiz war nur noch schlimmer, noch quälender geworden. Selbst jetzt konnte er es noch spüren. Dieses irrsinnige Prickeln. Dieses Drängen. Und das alles nur, weil Jean neben ihm schlief und er seine Nähe spürte.
Aber jetzt war der Junge Gott sei Dank wach und das sonderbare Begehren, ihn an intimen Stellen zu berühren, war schwächer geworden. Stattdessen machte sich Sorge in ihm breit, weil der Junge so ausgesprochen ruhig war.
Natürlich musste er niedergeschlagen sein. Enjolras konnte das nachempfinden und am liebsten hätte er den Jungen nochmals in seine Arme geschlossen, um ihm zu verstehen zu geben, dass er zumindest nicht allein war. Aber was würde Jean dann von ihm denken? Es kam ihm selbst merkwürdig, einerseits falsch, andererseits richtig vor. Sie waren Männer, und Männer kamen sich nicht auf solche Weise nahe. Wieso nur kamen ihm dann immer wieder solche Gedanken?
„Und diese Geschichte …“, riss Jean ihn plötzlich in die Gegenwart zurück und blickte in Enjolras Richtung, obwohl er ihn nicht sehen konnte. „Die von dem Jungen … die ist nicht erfunden?“
„Nein“, sagte Enjolras.
Es schien Jean für den Augenblick zu beruhigen.
„Aber wie wahrscheinlich ist es, dass der Herrgott zwei solcher Wunder geschehen lässt?“, gab er dann zu bedenken.
„Ich habe im Laufe meines Lebens viele Wunder gesehen. Sie geschehen überall. Immer wieder.“ Er lächelte in sich hinein. Erst gestern war ein solches Wunder geschehen, als das Schicksal Jean zu ihm geführt hatte. Irgendwie wusste er, dass dies eine Wende bringen würde. Eine Wende zum Guten.
Jean nickte nachdenklich. Der Junge sah so wunderschön aus. So zart. Er verspürte den Wunsch, seine Haut zu berühren, zu streicheln. Sie war samtig weich, hell, sehr hell sogar wie Alabaster.
„Das kann ich mir gut vorstellen. Das Leben eines Heilers muss sehr erfüllend sein. Aber gewiss gibt es auch Schattenseiten. Wenn jemand nicht auf die Behandlung anspricht oder du ihm nicht helfen kannst.“
Dieser schwanengleiche Hals. Er hatte solche Hälse bisher nur bei Frauen gesehen. Bei Jean wirkte er apart. Seine Schultern waren schmal, aber muskulös. Und diese feinen Hände.
„Enjolras?“
Er zuckte zusammen und seine Wangen prickelten vor Scham. Vor lauter Verzückung hatte er dem Jungen gar nicht mehr richtig zugehört. „Was … was?“, stammelte er und seine Hose spannte ein wenig. Bitte, nicht jetzt, dachte er.
„Ich weiß, es ist vielleicht unhöflich, aber ich würde gern mehr über deine Tätigkeit erfahren“, sagte Jean unschuldig, während sich Enjolras wie ein niederträchtiger Lüstling vorkam.
„Tätigkeit?“
„Als Heiler.“
„Ich sagte doch, ich praktiziere nicht mehr.“
„Jetzt hast du wieder einen Patienten.“ Jean lächelte ihn an.
Trotz aller Schwellungen war es das schönste Lächeln, das er je gesehen hatte. Jedes Wort, jede Geste des Jungen machte seine Situation nur noch schlimmer. Sein Körper wollte ihn. Mit jeder verdammten Faser.
Wie lange war es her, seit er das letzte Mal ein solch starkes Begehren nach einem anderen Menschen verspürt hatte?
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