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Phantom der Lüste

Phantom der Lüste

Titel: Phantom der Lüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Nowak
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Hatte er das überhaupt jemals – in dieser Intensität? Was war nur los mit ihm? „Entschuldige, ich war … mit den Gedanken … woanders.“ Es kostete ihn seine ganze Kraft, dem süßen Anblick zu widerstehen und all die Lust, die sich binnen weniger Augenblicke aufgestaut hatte, zurückzudrängen.
    „Du redest nicht gern über dich“, stellte Jean fest und ohne, dass der junge Mann es auch nur ahnte, traf er damit ins Schwarze.
    Enjolras Lust flaute ab. Es fühlte sich an, als hätte jemand einen Eimer Wasser über das Feuer in seinem Inneren gekippt.
    „Warum?“
    „Ich stehe nicht gern im Mittelpunkt.“ Das war untertrieben. Er hauste nicht umsonst im Wald.
    „Das solltest du aber. Du rettest Menschen, das ist doch wie eine Heldentat.“
    Enjolras lachte gequält auf. Von wegen. Was wusste dieser Junge schon über ihn. „Das ist lange her. Ich erinnere mich kaum noch an diese Tage.“
    „Und wie willst du mir dann helfen?“
    „Du hast mich gebeten es tun, wenn du meine Hilfe nicht mehr willst, sei es dir überlassen.“
    Die Stimmung kippte. Er konnte es nicht ändern, hätte auch nicht gewusst wie. Er sah nur, dass sich der Junge von ihm abwandte. Kein Wort kam über seine Lippen, doch seine Körpersprache sprach Bände. Es schien, als zähle er plötzlich eins und eins zusammen, als bemerke er erst jetzt die seltsamen Umstände, die Enjolras umgaben. War er doch zuvor noch durch den Schock und den Schmerz zu durcheinander gewesen.
    „Alles hier … ist von Einsamkeit durchzogen.“
    „Du redest wirres Zeug.“
    „Außer dir lebt hier niemand, war niemand.“
    Jean sah ihn direkt an, erneut hatte Enjolras das Gefühl, er würde ihn doch sehen. Aber das war unmöglich, er würde anders reagieren, wenn er das könnte. Aufschreien, den Blick abwenden, was auch immer. Aber jetzt starrte er ihn nur an und es war Enjolras, der seinem Blick auswich.
    „Das Phantom“, flüsterte er, aber Enjolras hatte ihn verstanden. „Sag es mir, bist du das Phantom, das allein in den Wäldern haust, das die Leute fürchten wie den Teufel?“ Jeans Stimme zitterte kaum merklich. „Ich habe es gesehen. Vor vielen Jahren. Hier. In diesem Wald.“
    „Es gibt keine Phantome. Nur Menschen, die aus anderen Phantome machen.“
    Und doch war in ihm ein Phantom. Oder vielmehr ein Dämon, der ihn dazu zwang, seinen Blick immer wieder über den Körper des Jünglings gleiten zu lassen, der auf seinem Bett saß. Nichtahnend, welch verstörende Wirkung er auf ihn ausübte. Enjolras fühlte sich plötzlich schäbig. Dreckig. Das war nichts Neues. Er war sich seiner heruntergekommenen Erscheinung bewusst. Aber jetzt wurde sie ihm umso stärker gewahr. Er müffelte. Und der lange ungepflegte Bart, den er trug, weil er sich nie rasierte, stank ebenfalls. Blickte er an sich herunter, sah er in den schwarzen Barthaaren sogar einige graue und silberne Fäden.
    „Ich habe dir die Wahrheit gesagt. Ich bin ein Heiler gewesen. Aber jetzt gibt es nicht mehr viel über mich zu erzählen“,sagte er barscher, als er es beabsichtigt hatte. Jean schwieg, schien sich aber zu beruhigen, und Enjolras ging zu der Feuerstelle, um den Eintopf aufzuwärmen. „Du musst essen. Das ist wichtig.“
    Enjolras tat ihm etwas von dem Eintopf auf und Jean nahm die Schüssel zögerlich entgegen, roch daran, verzog leicht das Gesicht. Ja, ein Junge wie er, der ganz sicher aus besseren Verhältnissen kam, war auch anderes Essen gewohnt. Aber mehr konnte Enjolras nicht anbieten. Mehr hatte er selbst nicht.
    „Ich habe keinen Hunger“, sagte Jean freundlich und schob die Schüssel von sich.
    „Junge, wenn du mir so kommst, füttere ich dich. Glaub mir, das willst du sicher nicht.“ Enjolras wollte nicht streng sein, aber er sorgte sich zu sehr um Jean. Er sah so schrecklich dünn, fast schon abgemagert aus.
    Jean lachte leise. „Das ist nicht dein Ernst.“
    „Oh doch“, sagte Enjolras entschlossen und nahm ihm den Löffel ab.
    „Ich habe einen besseren Vorschlag.“
    „Lass hören.“
    „Ich esse schön brav meinen Eintopf auf und du erzählst mir, was ich wissen möchte.“
    „Du bist ein rechter Sturkopf, du gibst wohl niemals auf.“
    Jean grinste triumphierend.
    „Ich sagte doch, dass ich …“
    „Ja, ja. Ich will auch nichts über den heutigen Enjolras wissen. Ich bin nicht mal sicher, ob ich diesen Griesgram mag.“
    Das versetzte ihm einen Stich. Doch er war umso erleichterter, als Jean durch ein Schmunzeln kenntlich machte, dass es nur

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