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Phantom des Alexander Wolf

Phantom des Alexander Wolf

Titel: Phantom des Alexander Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Gasdanow
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geblieben, ich entsinne mich wie im Halbschlaf daran, dass Kameraden mich, mit verkrustetem Blut bedeckt und in zerrissener Gymnasiastenuniform, damals nach Hause trugen. Aber das hatte wohl noch keine besondere Bedeutung – auch nicht, dass ich ständig die Gesellschaft von Dieben suchte, überhaupt von Leuten, die nur zeitweilig in Freiheit waren, zwischen dem einen Gefängnis und dem nächsten –, obwohl schon damals zu vermuten gewesen wäre, dass die gleichermaßen konstante Vorliebe für so unterschiedliche Dinge wie Baudelaire-Gedichte und eine grimmige Schlägerei mit irgendwelchen Rowdys doch etwas Merkwürdiges an sich hat. Später nahm es ein wenig andere Formen an, war allerdings weit entfernt von jedweder Besserung, denn je länger es dauerte, desto größer wurde die Kluft und der scharfe Gegensatz, der für mein Leben typisch war. Er bestand zwischen dem, wozu ich innerlich eine Neigung und Passion spürte, und dem, wogegen ich so vergeblich ankämpfte, nämlich dem stürmischen und sinnlichen Grundzug meines Wesens. Und der störte immer, er beeinträchtigte das beschauliche Betrachten, das ich mehr als alles andere schätzte, er erlaubte mir nicht, die Dinge so zu sehen, wie ich sie hätte sehen müssen, er verzerrte sie durch sein grobes, doch unvermeidliches Prisma, und er nötigte mich zu einer Vielzahl von Handlungen, die ich hinterher unweigerlich bedauerte. Er veranlasste mich, Dinge zu mögen, um deren ästhetische Wertlosigkeit ich nur zu gut wusste, Dinge von eindeutig schlechtem Geschmack, und wie stark ich mich zu ihnen hingezogen fühlte, ließ sich nur mit dem Abscheu vergleichen, den ich unerklärlicherweise zur selben Zeit für sie empfand.
    Das traurigste Ergebnis dieser Spaltung waren allerdings meine seelischen Erfahrungen im Verhältnis zu Frauen. Seit langem ertappte ich mich dabei, wie ich mich begierigen und fast fremden Blickes an einem grobschlächtigen weiblichen Gesicht festsah, in dem auch der aufmerksamste und unvoreingenommenste Beobachter vergebens nach einer Spur von Beseeltheit gesucht hätte. Mir konnte nicht entgehen, dass diese Frau mit aufreizender und unwandelbarer Geschmacklosigkeit gekleidet war, ebenso wie ich nichts anderes bei ihr vermuten konnte als rein animalische Reflexe – und dennoch übten ihre Körperbewegungen und ihr wiegender Gang jedesmal einen unglaublich starken Eindruck auf mich aus. Zwar machte ich mich mit Frauen dieser Kategorie niemals gemein, im Gegenteil, bei einer Annäherung war mein vorherrschendes Gefühl trotz allem Abscheu. Andere Frauen, die durch mein Leben gingen, gehörten einem vollkommen anderen Kreis an, sie waren ein Teil jener Welt, in der ich immer hätte leben müssen und aus der es mich so unaufhaltsam nach unten zog. Im Verhältnis zu ihnen empfand ich, scheint mir, die besten Gefühle, zu denen ich fähig war, trotzdem hatte das den Beigeschmack eines lauen Reizes, der jedesmal ein Gefühl vagen Unbefriedigtseins hinterließ. Und das war immer so, anderes lernte ich niemals kennen; ich vermute, vom letzten Schritt hielt mich so etwas wie ein Selbsterhaltungstrieb ab, die unbewusste Einsicht, wenn es dazu käme, würde es in einer seelischen Katastrophe enden. Oftmals fühlte ich mich ihr jedoch nahe; und ich dachte, dass dieses mein Schicksal, das mich bislang so glücklich aus vielen und manchmal gefährlichen Situationen herausgeführt hatte, mich begünstige, indem es mir, zumindest für ein paar kurze Stunden meines Lebens, die Illusion friedlichen, fast abstrakten Glücks verschaffte, wo kein Raum blieb für meinen unaufhaltsamen Drang nach unten. Ähnlich, wie wenn ein Mensch, den es ständig in den Abgrund zieht, in einem Land lebte, wo es weder Berge noch steile Hänge gibt, nur die gleichmäßigen Weiten flacher Ebenen.
    In dem Maße, wie die Zeit verging und mit ihr langsam mein Leben dahinfloss, gewöhnte ich mich an die Zwiegesichtigkeit meiner Existenz, wie Menschen sich beispielsweise an die immer gleichen Schmerzen gewöhnen, die zu ihrer unheilbaren Krankheit gehören. Aber ich konnte mich nicht gänzlich mit der Einsicht abfinden, dass meine ungezähmte sinnliche Wahrnehmung der Welt mich sehr vieler seelischer Möglichkeiten beraubte und dass es Dinge gab, die ich theoretisch verstand, die mir aber ein für allemal unzugänglich bleiben würden, wie mir die Welt besonders erhabener Gefühle unzugänglich bliebe, von denen ich wusste und die ich mein Leben lang verehrt hatte. Diese Einsicht schlug

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