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Phantom des Alexander Wolf

Phantom des Alexander Wolf

Titel: Phantom des Alexander Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Gasdanow
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kam ich nach Hause, legte mich aufs Bett und weinte wie ein kleiner Junge.«
    Was er mir dann erzählte, war erstaunlich und naiv. Er suchte Marina zu überzeugen, Wolf sei noch zu schwach, sie müsse Mitleid haben und ihn in Ruhe lassen.
    »Ja, wenn er anfängt zu husten und zu röcheln, lasse ich ihn«, antwortete sie mit derselben Schlichtheit, die für sie typisch war.
    Marinas Treubruch wirkte sich im übrigen nicht auf das Verhältnis zwischen Wosnessenski und Wolf aus. Wosnessenski fand in sich die Kraft, sich sogar Marina gegenüber freundschaftlich zu verhalten. Sie war viele Monate mit Wolf zusammen, begleitete die Schwadron überallhin, und ebendamals lernten sie es schätzen, wie kunstfertig sie zu reiten und zu schießen verstand.
    Dann brachen schlimme Zeiten an. Zur Verfolgung der Schwadron, von der noch zweihundert Mann übrig waren, wurde eine Reiterdivision eingesetzt. Ein paar Wochen lang versteckten sie sich in den Wäldern. Das war auf der Krim. Offizerow fiel. An einem der letzten Tage ihres dortigen Aufenthalts fanden sie im Wald kürzlich verlassene und gut ausgestattete Unterstände. Erstmals seit anderthalb Wochen verbrachten sie eine ruhige Nacht, in relativer Wärme und einigermaßen komfortabel. Sie schliefen viele Stunden ununterbrochen. Als sie spät am Morgen aufstanden, war Marina nicht da.
    »Wir haben nie erfahren«, sagte Wosnessenski, »was mit ihr geschehen und wohin sie verschwunden war.«
    Doch um sie zu suchen, hatten sie weder Zeit noch Gelegenheit. Zu Fuß schlugen sie sich bis zur Küste durch und verließen Russland im Laderaum eines türkischen Dampfers, der Kohlen transportierte. In Konstantinopel, zwei Wochen später, trennten sie sich – und begegneten sich zwölf Jahre später in Paris, in einem Waggon der Metro, als Wolf aus England, wo er ständig wohnte, nach Frankreich gekommen war, und das nicht zum erstenmal.
    Über Marinas Schicksal wusste Wosnessenski also nichts. Sie war unvermutet aufgetaucht, an einem Sommermorgen auf dem Marktplatz der kleinen Stadt über dem Dnepr, und genauso unvermutet wieder verschwunden, in der Morgendämmerung einer Herbstnacht auf der Krim. »Tauchte auf, versengte uns und verschwand«, sagte er. »Bloß konnten wir sie nicht vergessen, weder Sascha noch ich.«
    Ich schaute ihn an und dachte darüber nach, was für ein unglaubliches Zusammentreffen von Umständen mein Leben mit dem verband, was er erzählte. Dieser Mann, der mir jetzt in einem Pariser Restaurant gegenübersaß und mit Wodka, Gänsebraten und Erinnerungen Weihnachten feierte, voll freundschaftlicher Gefühle für seinen Gesprächspartner, war vor fünfzehn Jahren mit zwei Kameraden ausgeritten, um Alexander Wolf zu suchen, und wenn nicht der leichte Wind gegangen wäre, hätte ich sie nicht kommen hören, sie hätten mich einholen können, und dann hätte mich meine Pistole natürlich nicht gerettet. Wolfs weißer Hengst dürfte zwar flinker gewesen sein als ihre Pferde, aber er hätte genauso verwundet oder getötet werden können wie meine schwarze Stute. Nicht das jedoch beschäftigte meine Gedanken. Das war ein Zufall, der mein persönliches Schicksal betraf, und wenn ich gefragt würde, was besser wäre, damals getötet worden oder verschont geblieben zu sein für das Leben, das mir bevorstand – ich bin mir nicht sicher, ob es wert gewesen wäre, letzteres zu wählen. Wir verabschiedeten uns schließlich, Wosnessenski und ich, er ging, unsicheren Schrittes, und ich blieb allein, versunken in meine Gedanken über all das, was ich in jüngster Zeit erfahren hatte und was eine Reihe höchst ungeordneter und widersprüchlicher Vorstellungen in mir weckte. Natürlich konnte Wosnessenskis Erzählung ein gerüttelt Maß an Phantasie enthalten, für solche mündlichen Memoiren war das fast unvermeidlich, aber das berührte nicht die Hauptsache. Was der Londoner Verleger mir gesagt hatte, unterschied sich heftig von dem, was ich im Restaurantgespräch dieses Abends erfahren hatte; freilich war ich geneigt, meinem weihnachtlichen Gesprächspartner bei weitem mehr zu glauben als dem Verleger. Aber weshalb musste dieser mir einreden, Wolf habe England niemals für lange verlassen – und weshalb bedauerte er, dass ich ihn nicht umgebracht hatte? Aber auch das waren nebensächliche Überlegungen. Am erstaunlichsten schien mir etwas anderes: Wie hatte dieser Sascha Wolf, Freund Wosnessenskis, Abenteurer, Trunkenbold, Frauenverehrer und Verführer Marinas, wie hatte dieser

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