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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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eines Spionageromans nacherzählen. »Was dann?«, wollte Colonel Vivian leicht atemlos wissen.
    »Sie müssen Kim natürlich rauswerfen, und er wird von Ihren Leuten in die Mangel genommen. Er streitet jedoch alles ab. ›Ich ein sowjetischer Agent? Lächerlich!‹ Die Beweise gegen meinen Jungen – Operationen, die schiefgegangen sind, Agenten, die ihm unterstellt waren und von den Russen erwischt wurden – werden wir am Ende als Zufälle darstellen. Aufgrund amerikanischer Bedenken wird Kim aber dennoch in den Ruhestand versetzt. Vielleicht könnte er dann wieder als Journalist arbeiten. Ja, warum eigentlich nicht? Als Journalist im Nahen Osten, den er gut kennt: Er zieht also nach Beirut. Eine Weile wird es schon dauern, bis die Russen das alles verdaut haben. Aber eines schönen Tages dann können Sie mit einem Detail aufwarten, irgendeiner Kleinigkeit, die die Anklage gegen Kim wasserdicht macht – eine Zeugin zum Beispiel, die schwört, dass Kim versucht hat, sie als sowjetische Spionin zu rekrutieren. Damit steht er vor der Wahl, seinen Verrat zuzugeben und sich gegen die Sowjets zu wenden oder für den Rest seines Lebens ins Gefängnis zu wandern. Woraufhin ihm nichts anderes übrig bleibt, als die Beine in die Hand zu nehmen. Die Russen haben für solche Fälle sicher einen Exfiltrationsplan in petto. Mein Junge taucht in Moskau wieder auf, wird wie ein Held empfangen und im Herzen der Finsternis, der Moskauer Zentrale in der Lubjanka, willkommen geheißen. Die Russen wären Narren, seine Talente nicht zu nutzen. Er wird ein leitender sowjetischer Geheimdienstoffizier und zu laufenden Operationen hinzugezogen werden, wird zukünftigen Maulwürfen auf den Zahn fühlen müssen und nach seiner Meinung zu möglichen Zielobjekten befragt werden.«
    Die beiden Colonels sanken zurück in ihre Sessel, außerstande, auch nur ein Wort herauszubringen. Der eine wie der andere starrten sie auf ihre Fußspitzen, als seien diese das Orakel von Delphi. Das Schweigen dauerte eine Ewigkeit. Colonel Vivian fand als Erster seine Stimme wieder. »Sie gehen offenbar davon aus, dass Kim diesem Szenario zustimmen würde?«, sagte er. Er hob die Stimme am Ende des Satzes und machte so eine Frage daraus.
    Der Haddsch schenkte den beiden Colonels ein schiefes Lächeln. »Mein Junge lebt für das große Spiel. Es liegt ihm viel daran, ein wichtiger Akteur darin zu sein. Und er tut, was sein heiliger Vater ihm sagt. Das war immer so und wird immer so sein.«
    Die Colonels schüttelten die Köpfe. »Was Sie da vorschlagen, St John«, sagte Colonel Menzies, »liegt außerhalb des Bereichs des Möglichen.«
    »Sie sprechen mir aus der Seele«, stimmte ihm Colonel Vivian mit ungewohnter Vehemenz zu.
    Der Haddsch beugte sich vor und begann, sich die Schuhe zuzuschnüren. »Warum um alles in der Welt sollte das nicht möglich sein?«
    »Zunächst mal«, sagte Colonel Menzies, und seine Stimme war nur mehr ein raues Kratzen: »Wer sollte das glauben?«

Epilog
    Beirut im Januar 1963:
Der Engländer flieht nach Sowjetrussland, zehn Dosen Verdauungstabletten von Arm & Hammer in den Taschen
    Um Mitternacht holte das russische Frachtschiff
Dolmatowa
die Leinen ein, mit denen er am Pier festgemacht hatte, und schlüpfte aus dem Beiruter Hafen. Erst später fiel den britischen Agenten in der libanesischen Hauptstadt auf, dass das russische Schiff abgelegt hatte, ohne Ladung aufzunehmen. Als der Bug durch die erste Woge außerhalb des Hafens schnitt, kletterte der einzige Passagier des Schiffes, ein Engländer, die Leiter zur Flaggentasche hinter der Brücke hinauf. Ein Matrose in einem schmutzigen Overall und einer dicken Ölhaut hisste eine große Flagge mit Hammer und Sichel. Pistolenschüssen gleich knallte ihr Stoff im Wind, als wolle er dem Engländer die sowjetische Staatsbürgerschaft verleihen, während dieser die Rahe erklomm.
    Der Passagier sah über das Heck zu den Lichtern der libanesischen Hauptstadt zurück. In seiner Vorstellung sendeten sie einen Morsecode an den zurückweichenden Horizont. Ihr Zucken erinnerte ihn an sein eigenes Stottern. Was mochten sie ihm sagen wollen? Er kniff die Augen zusammen und glaubte, die schwächeren Lichter des kleinen Drusendorfes auf einer Erhebung über Beirut erkennen zu können, wo sein Vater seine letzten Tage verbracht hatte. Der Engländer war an vielen Wochenenden zu ihm hinaufgefahren, und sie hatten zahllose Stunden im kleinen Garten hinter seinem bescheidenen Häuschen verbracht. In

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