Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)
für ein großartiger Tag«, bemerkte Colonel Vivian, schenkte Claret in drei kleine Gläser und gab eines dem Besucher.
»Nur für die, die nicht über den eigenen Tellerrand sehen«, sagte St John. Er stellte sein Glas vorsichtig auf dem niedrigen Tisch ab, ließ sich aufs Sofa sinken und beugte sich vor, um seine Schnürsenkel zu öffnen. »Wenn Sie mich fragen, fängt der Ärger gerade erst an.«
»Wieso das?«, wollte Colonel Menzies wissen.
»Schukows Armee war vor uns in Berlin. Die Rote Armee hat Warschau, Budapest, Sofia und Prag eingenommen. Sieht nicht so aus, als würde Stalin seine Jungs so bald wieder nach Hause holen. Sollten die Amerikaner jetzt noch aus Europa verschwinden, um sich auf die Japsen zu konzentrieren, stehen die zwölf Millionen Mann der Roten Armee praktisch am Kanal. Onkel Joe könnte versucht sein, seinen Sieg auf den französischen Stränden vis-à-vis von den weißen Klippen Dovers zu feiern.«
»Mit der Möglichkeit haben wir uns bereits befasst«, sagte Colonel Vivian. »Wir haben die Sowjets durch ihren Sohn mit gefälschten Informationen gefüttert, die Stalin den Appetit verderben sollen. Über Flugplätze in England und Irland voller B-29-Bomber, die mit neuen Atombomben des Typs bestückt sind, den die Amerikaner gestern in der Wüste von New Mexico getestet haben. Sogar mit einer Liste von fünfhundert sowjetischen Städten, die wir auszulöschen gedenken, wenn es losgeht.«
Philby senior sank zurück in die Kissen. »Ich nehme an, die Rekrutierung meines Sohns hat sich für Sie also bezahlt gemacht.«
Colonel Menzies strahlte. »Kim ist der geborene Spion. Er hat das Handwerk so schnell gelernt, dass er sich nun in unserem Metier bewegt wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser. Ich weiß nicht, wie er die verschiedenen Geschichten in seinem Kopf auseinanderhält, aber er tut’s. Ich kann Ihnen sagen, trotz seiner jungen Jahre ist er der aufgehende Stern am Himmel der fünften Abteilung, ein Experte der Gegenaufklärung. Fast den ganzen Krieg über hat er unsere Operationen auf der Iberischen Halbinsel geleitet.«
Colonel Vivian sagte: »Die Amerikaner waren so beeindruckt von Ihrem Sohn, dass sie einen ihrer glänzenden jungen Rekruten, frisch aus Yale, hergeschickt haben, damit er bei ihm das Handwerk lernt. Hieß Jesus Angleton, der Bursche.«
Colonel Menzies machte eine korrigierende Geste mit dem Zeigefinger. »James Angleton. Jesus ist sein Mittelname.«
»Wie auch immer«, murmelte Colonel Vivian.
Die alten Animositäten zwischen den beiden Colonels waren nie ganz verschwunden.
Colonel Menzies achtete nicht weiter auf seinen Stellvertreter. »Die jüngste Entwicklung wird Ihnen gefallen, St John. Als das Ende des Krieges schon in Sicht war, haben wir eine kleine sowjetrussische Gegenaufklärungsabteilung eröffnet. Eine leichte Verschiebung der Gewichte, nicht wahr? Haben sie Abteilung neun getauft und Kim an die Spitze gesetzt.«
»Die Russen konnten ihr Glück wahrscheinlich nicht fassen, als Kim seinem Führungsoffizier von seiner Ernennung berichtet hat«, sagte Colonel Vivian. »In Moskau denken sie jetzt, dass ihr Maulwurf unsere antisowjetische Abteilung leitet.«
»Wissen die Yanks
,
dass Kim ein Doppelagent ist?«
»Ich denke, man kann ihn mit Fug und Recht als Dreifachagenten bezeichnen«, bemerkte Colonel Vivian.
Wieder beachtete Colonel Menzies den Chef der Spionageabwehr nicht weiter. »Abgesehen von Kim wissen nur wir drei in diesem Raum davon …« Colonel Menzies’ Blick fiel auf mich, die ich etwas abseits saß und auf einem Klemmbrett mitschrieb. »Oder sollte ich sagen, wir vier? Ja, Miss Sinclair hier miteingerechnet, kennen nur wir vier die Wahrheit.«
Colonel Vivian schenkte sich Claret nach. Er wirkte unwillig. »Ganz rund ist die Sache allerdings nicht immer gelaufen. Ende der Dreißiger gab es in der Moskauer Zentrale eine widerspenstige Analytikerin, die überzeugt war, Ihr Sohn würde ihre Leute mit Fehlinformationen füttern.«
Colonel Menzies beendete die Geschichte für ihn. »Eine Zeit lang stand es auf Messers Schneide. Die Analytikerin berichtete den verschiedenen Führungsebenen der Moskauer Zentrale von ihrem Verdacht und säte Zweifel an der Treue Ihres Sohnes zu den Sowjets. Am Ende geriet sie in Misskredit, wobei wir nicht sicher sind, warum und wer dahintersteckte. Das Einzige, was wir wissen, ist, dass sie wegen eines Attentatsversuches auf Stalin verurteilt und erschossen wurde.«
»Was mich zum dritten Akt
Weitere Kostenlose Bücher