Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)
hölzernen Liegestühlen hatten sie in der Sonne darüber geredet, wie das große Spiel wohl ausgehen mochte. Als das Ende gekommen war, begrub der Engländer seinen Vater auf dem muslimischen Friedhof unter dem Dorf und kennzeichnete die Stelle, wie es Muslime taten, mit einem kleinen Stein. Da kein Name auf dem Stein stand, würde niemand wissen, wo St John begraben lag, jetzt, da sein Sohn abgereist war.
Der Engländer, der Nahostkorrespondent zweier Londoner Tageszeitungen, des
Observer
und des
Economist,
floh aus Beirut, um den britischen Agenten zu entkommen, die ihn als sowjetischen Spion verhaften wollten. Er verließ die Stadt nur mit seinen Kleidern am Leib, zwei dicken Wollpullovern, die er übereinander trug, einer zweiten Lesebrille, zehn kleinen Dosen Verdauungspillen von Arm & Hammer und der zerlesenen Ausgabe des ersten Taschenbuchs von Simon & Schuster, James Hiltons
Der verlorene Horizont,
das ihm sein Vater 1939 durch Harrods hatte schicken lassen, nachdem dem Engländer die gebundene Ausgabe im Spanischen Bürgerkrieg verloren gegangen war. Die gebundene wie auch die Taschenbuchausgabe hatte er zu Codierungszwecken benutzt (Seitenzahl, Zeile und Buchstabe), um mit seinem sowjetischen Führungsoffizier zu kommunizieren, dem Londoner Residenten, den er als Otto kannte. Auf diese Weise wollte er auch mit den Freunden seines Vaters in Kontakt bleiben, wenn er erst in Moskau angekommen war.
Als Spion hatte der Engländer einen verdammt guten Lauf gehabt; es war ihm gelungen, fast zwei Jahrzehnte lang ein Doppelleben – oder sagen wir besser, ein Dreifachleben? – zu führen. Bis seine Karriere schließlich ein abruptes Ende fand, als ihn der Secret Intelligence Service Seiner Majestät in den frühen 50ern als britischen Verbindungsoffizier zur CIA nach Washington schickte. Die amerikanischen Codebrecher hatten gerade Donald Maclean, seinen Freund aus Cambridger Studentenzeiten, als Sowjetagenten enttarnt, woraufhin auch der Engländer unter Verdacht geriet und des Landes verwiesen wurde. Zu Hause in England nahmen ihn daraufhin die Verhörspezialisten des SIS monatelang in die Mangel und warfen ihm jede einzelne verpfuschte Aktion, jeden einzelnen enttarnten Agenten vor. Aber der Engländer zuckte nur mit den Schultern und stritt alles ab. Da sie keine eindeutigen Beweise hatten, konnten sie ihn ohne Geständnis nicht anklagen. Sie mussten ihn jedoch hinauswerfen, da die Amerikaner jede weitere Zusammenarbeit verweigerten, solange der Engländer auf der Lohnliste des SIS stand. Nach einer angemessenen Pause war er daraufhin in den Beruf zurückgekehrt, den er in Spanien während des Bürgerkriegs ausgeübt hatte, den des Journalisten. So war er als Nahostkorrespondent nach Beirut gelangt.
Langsam verschwanden die Lichter der libanesischen Hauptstadt im Halbschatten des Streifens, wo sich Land und Meer trafen, und der Engländer wandte den Blick nach vorn zur Salzgischt über dem Vordeck und versuchte sich vorzustellen, welche Art Leben ihn im sowjetischen Shangri-La wohl erwarten mochte.
Würden die Russen die Geschichte schlucken, die sein Vater ausgeheckt hatte?
Würden sie glauben, dass der Secret Intelligence Service Seiner Majestät in Beirut aufgetaucht war mit dem fehlenden Puzzlestück im Gepäck, dem Beweis, dass er über Jahre als sowjetischer Maulwurf gearbeitet hatte?
Würde Moskau ihn als hochrangigen Geheimdienstoffizier im Herzen der Finsternis willkommen heißen?
Würde ihm erlaubt werden, bei Bowes & Bowes in Cambridge Bücher zu bestellen und von Harrods in London seine Arm-&-Hammer-Pillen zu beziehen?
Würde das große Spiel, das der Engländer so unbedingt spielen wollte, einen dritten Akt haben?
Gab es für Spione und Felskletterer tatsächlich kein Zurück, sondern nur einen Ausweg – den nach oben?
Coda
Der Autor dieser wahren Spionagegeschichte erklärt, warum der Gedanke, Kim Philby sei ein Doppelagent gewesen – oder sollten wir Dreifachagent sagen? –, gar nicht so weit hergeholt ist
Im Winter 2000, den ich in Jerusalem verbrachte, um Recherchen für einen im Nahen Osten angesiedelten Roman anzustellen, saß ich eines Abends mit meinem wunderbaren Freund Zev Birger, dem damaligen Leiter der Jerusalemer Buchmesse, beim Essen. Er war mir sehr behilflich gewesen, indem er mich dem ehemaligen Premierminister und heutigen Staatspräsidenten Schimon Peres vorstellte, mit dem zusammen ich später ein Interview-Buch herausbrachte. Zev, der, wie es hieß, alle
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