Philosophenpunsch
das Blut schoss ihr in den Kopf. Schön langsam wurde ihr dieser Abend unheimlich. Hatte sich denn alles gegen sie verschworen? Da hatte sich Jochen Angerer nicht mit dem Abbruch ihrer Beziehung zu ihm abfinden wollen und war auf ihrem Weg zum Kaffeehaus buchstäblich über sie hergefallen. Franz Jäger war ihr Gott sei Dank, von der Straßenbahn am Franz-Jonas-Platz kommend, beigestanden. Angerer hatte sich daraufhin unter wilden Drohungen wieder zurückgezogen, aber Jäger war dann auf einmal so zudringlich geworden, wie sie ihn noch nie erlebt hatte. Schließlich der betrunkene Mario Schweda, mit dem sie für ein Jahr in dieselbe Klasse gegangen war, ehe er die Schule abgebrochen hatte, den zu sehen sie aber gerade heute null Bock hatte; die Hexe Bianca mit ihrem Geltungsdrang, den übersinnlichen Geschichten und den boshaften Sticheleien gegen sie und Bernhard; und jetzt noch diese abstoßende, sie wie eine leichte Beute musternde Gestalt an der Theke, die ihr Angst einjagte und die sie von irgendwoher zu kennen glaubte.
Veronika atmete am Waschbecken ein paar Mal tief durch. Es war auch notwendig. Denn als sie aus der Toilette kam, stand ihr plötzlich Mario Schweda gegenüber, lässig an den zweiten, mittlerweile leeren Billardtisch gelehnt. Er war ihr offensichtlich gefolgt. Seine Grimasse zeigte, dass er bereits schwer vom Alkohol gezeichnet war.
»Was willst du?«, fragte Veronika unsicher.
»Ach so, jetzt kennst du mich ja doch«, befand Schweda mit Sarkasmus.
»Mach schon und sag, was du willst. Ich möchte gehen.«
»Da bin ich ja gerade rechtzeitig gekommen. Du schuldest mir Geld, das weißt du genau.«
»Das ist Sache von Jochen. Ich bin nicht mehr bei der Gruppe dabei.«
»Hör zu, ich lasse mich von euch nicht übers Ohr hauen. 300 waren ausgemacht, 100 vorher und 200 nachher. Bloß hat sich seither keiner von euch mehr blicken lassen. Wo sind die restlichen 200?«
»Ich hab das Geld nicht. Du weißt, wo du Jochen findest.«
»Ich will es aber von dir.« Damit machte Schweda einen Schritt nach vorn und packte Veronika bei den Hüften. Ihre überraschten Hände wussten nicht, wo sie ihn anfassen sollten, damit er sie in Ruhe ließ.
»Was für eine tolle Figur du hast«, stellte Schweda fest, ohne lockerzulassen. »Sag, bist du noch immer so nett zu den Männern, wie du es früher einmal warst? Dann könnte ich mir den Betrag ja in Naturalien abgelten lassen.«
Veronika versuchte, sich zu befreien. »Lass mich sofort gehen«, zischte sie. »Die Leute schauen schon auf uns.«
»Lass sie doch schauen«, grinste Schweda, dem es langsam schwerfiel, die Balance zu halten. »Das stört mich nicht. Wenn’s kein Geld gibt – oder eine entsprechende Gegenleistung – sehe ich mich ohnedies gezwungen, die ganze Geschichte ein bisschen herumzuerzählen. Das fällt mir dann zwar auf den Kopf, aber euch mit Sicherheit umso mehr.«
»Du redest nur groß, weil du betrunken bist.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher.«
»Du bekommst dein Geld, aber nicht jetzt.« Mit diesem Satz wand sich Veronika Plank aus dem allmählich schwächer gewordenen Griff Schwedas. Hastig eilte sie auf ihren Platz zu. Dabei musste sie noch einmal an dem sie lüstern betrachtenden Glatzkopf vorbei und erntete ein anerkennendes »Bravo, geben Sie’s ihm nur!« Nichts wie weg, dachte sie. Sie brauchte jetzt schnell die kalte, frische Luft von draußen.
Bianca stand bereits im Mantel da und zog sich die Handschuhe an. »Ach, da bist du ja, Schätzchen«, sagte sie. »Rudi und ich sind gerade im Aufbruch begriffen. Bernhard und Gernot haben uns bereits verlassen.« Sie schaute Veronika noch einmal prüfend an. »Ich würde dir raten, auch nicht länger zu bleiben und rasch und ohne Umwege nach Hause zu gehen, mein Kind«, legte sie ihr nahe. »Die Nacht hält heute nichts Gutes für dich bereit.«
Da Thomas Korber zum ebenfalls sich in Auflösung begriffenen Tisch der Firma Frick gewechselt war und sich um die jetzt ohne männlichen Anschluss dort sitzende Julia Leichtfried kümmerte, hielt nur mehr Franz Jäger die Stellung am Philosophentisch. Der sah jetzt seine Chance gekommen. Er musste nur seine Lethargie überwinden und handeln.
»Komm«, schreckte Veronika ihn aus seinen Gedanken auf. »Wir zahlen und gehen auch.« Dann, etwas leiser: »Ich habe eine Bitte, Franz. Heute ist so ein komischer Tag.
Könntest du mich noch ein Stück begleiten?«
Jäger sprang förmlich von seinem Stuhl. »Natürlich, Veronika,
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