Philosophenpunsch
Neues, dass sie sich Zeit lässt«, kam es mit übler Laune von Bianca Roth. »Aber von unserem Franzilein hätte ich das nicht erwartet.« Ihr Blick traf beide messerscharf wie ein vernichtendes Urteil.
Franz Jäger wollte etwas sagen, wurde von Veronika Plank jedoch mit einem kurzen Deuter daran gehindert. »Entschuldigung«, murmelte sie verstohlen in Richtung Bernhard Klein, der mit einem Nicken antwortete.
»Jetzt können wir endlich richtig anfangen«, hoffte Caha.
Damit lag er allerdings falsch.
»Das gibt’s doch nicht. Veronika, was machst du denn hier?« Laut und überschwänglich, sichtlich schon vom Alkohol beeinflusst, kam die Stimme von einem der beiden jungen Herren am gegenüberliegenden Tisch, die Julia gerade mit Punsch abfüllten. »He, Veronika! Hörst du nicht?«
Sie hatte gehört. Gerade deswegen tat sie offenbar alles, um das Gegenteil vorzutäuschen. Hastig zündete sie sich eine Zigarette an und starrte irgendwohin ins Leere, nur weg von dem, der sie gerufen hatte.
»Wollen wir nun endlich weitermachen?«, wurde Caha ungeduldig.
Aber der illuminierte junge Mann blieb aufdringlich. »Kommst dir wahrscheinlich zu gut vor, um mit jemandem wie mir zu reden«, ließ er nicht locker. »Dabei solltest du dich verdammt gut an mich erinnern.«
»Die Dame hat einen Schock. Sie ist gerade auf der Straße auf das Schlimmste angepöbelt und bedroht worden«, bemühte sich Jäger um Veronikas Verteidigung.
»Ach, hör doch auf zu reden. Deswegen kennt sie mich auf einmal nicht mehr? Das ist ja lächerlich.« Der Unterton der Stimme wurde immer gefährlicher, aggressiver.
Jetzt mischte sich auch Caha ein. »Ich finde das einfach unerhört«, stieß er hervor. »Man hat hier keine Ruhe. Wie sollen wir uns in ein Gespräch vertiefen, das die Grenzen unseres Seins auslotet, wenn aus der uns gegenüberliegenden Ecke ständig Lärm herüberdringt und man sich jetzt auch noch ungehobelt in unseren Diskurs einmischt? Ich schlage vor, wir brechen die Debatte ab und setzen sie woanders fort.«
Kurzes Gemurmel, in dessen Verlauf Bernhard Klein andeutete, dass er mit diesem Vorschlag überhaupt nicht einverstanden war. »Kein Wunder, dass du bleiben willst«, stichelte Bianca. »Hast ja Angst, dass dir unsere Veronika davonläuft, ehe du dazu gekommen bist, sie mit den letzten Weisheiten des Lebens zu beglücken. Mir hingegen würde es nichts ausmachen zu gehen. Dieser Ort hält heute nicht die geringste Inspiration für mich bereit.«
Frau Heller sah nun die Zeit gekommen, ein Machtwort zu sprechen. »Entweder es beruhigen sich alle wieder, oder ich sehe mich gezwungen, Sie hinauszukomplimentieren und das Kaffeehaus zu schließen«, erschallte ihr Ordnungsruf. »Ich dulde solche Reibereien nicht in meinem Haus, schon gar nicht vor Weihnachten. Bis jetzt ist es ja auch friedlich zugegangen. Nehmen Sie sich ein wenig zusammen, meine Herrschaften, ich muss doch sehr bitten.« Dann holte sie die beiden Ober zu sich. »Herr Waldbauer, stellen Sie die Weihnachtsbäckerei auf den Tisch der Firma Frick, das wird die Leute ein bisschen ablenken«, ordnete sie an. »Und Leopold, bringen Sie den Philosophen eine Runde von unserem Punsch auf Kosten des Hauses, als kleine Aufmerksamkeit sozusagen. Da müssen wir aufpassen, dass sie uns nicht abtrünnig werden.«
Leopold war das gar nicht recht. Die gesamte Konsumation der Denker bisher betrug genau 13,80 Euro. Bei Veronika Plank und Franz Jäger war er noch gar nicht dazu gekommen, eine Bestellung aufzunehmen. Und jetzt sollte er diese Knauserer mit einer Gratisrunde verwöhnen? »Ist ja nett gemeint«, bemerkte er in Richtung Frau Heller. »Aber ob es auch etwas nützt? Ich habe Ihnen schon vorhin gesagt, dass es vor Weihnachten allgemein eine aggressive Stimmung gibt. Da kommt der Hass so richtig heraus, weil man geradezu zur Liebe gezwungen wird. Man verordnet den Menschen Nähe, dabei möchte jeder allein für sich sein. Kein Wunder, dass dann die Fetzen fliegen. Wenn Sie mich fragen, ist das die perfekte Voraussetzung für ein Verbrechen, da können Sie Punsch ausschenken, so viel Sie wollen.«
Leopold stellte sich zur Theke, wo ihm Frau Heller mit leicht verärgerter Miene ein Häferl Punsch nach dem anderen auf sein Tablett stellte. Da gewahrte er, wie sich die Tür öffnete und nach längerer Zeit wieder einmal ein Gast hereinkam. Er gewahrte noch etwas: Dieser Gast tropfte. Er tropfte von den Haaren auf die Brille, von der Brille auf den Mantel und vom
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