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Philosophenpunsch

Philosophenpunsch

Titel: Philosophenpunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Bauer
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Mantel auf den Boden. »Sofort den Mantel ausziehen!«, rief Leopold geistesgegenwärtig. »Und ja nicht hinsetzen, ehe Sie nicht trocken sind.«
    Im allgemeinen Trubel hatten es alle übersehen, niemand hatte zum Fenster hinausgeschaut. »Schnee!«, verkündete Frau Heller entzückt. Dabei strahlte sie wieder übers ganze Gesicht, und ihre Augen leuchteten wie zwei Weihnachtssterne.
     
    *
     
    Der Schnee war gerade zur richtigen Zeit gekommen. Er verbreitete eine angenehme Stimmung bei all jenen, die gerade vorhin am liebsten übereinander hergefallen wären. Leise und unauffällig fiel er herab, nicht zu stark, aber gerade so, dass er den Boden wie mit einer Schutzschicht zudeckte. Noch lag er weiß und unschuldig da. Er ließ nicht ahnen, dass sich unter ihm eine Eisschicht bilden konnte, die Fußgänger zu Fall brachte und den Autofahrern enorme Schwierigkeiten bereitete; dass nur ein wenig mehr genügen würde, um den gesamten Räumungsdienst der Stadt zu mobilisieren; dass er bald als schmutzige Häufchen Dreck sein befristetes Dasein am Gehsteigrand führen würde. Einstweilen war alles Wonne und Waschtrog.
    Frau Heller war nun ganz in ihrem Element. Sie kam in ihrer kleinen Küche mit der Zubereitung des Punsches gar nicht mehr nach. Jeder sollte in den Genuss eines Gratisgetränkes kommen, jeder. Einen Teil der Lokalbeleuchtung hatte sie kurzerhand ausgeschaltet, sodass es im vorderen Teil des Café Heller angenehm schummrig wurde und nur mehr die Billardspieler das zur Abwicklung ihrer Partie nötige volle Licht bekamen. Ansonsten hatte sie dafür gesorgt, dass Kerzen mit kleinen Tannenzweigen auf jeden Tisch gestellt wurden. In einer Ecke summte man, zuerst kaum hörbar, dann immer lauter werdend, ›Leise rieselt der Schnee‹, und es störte nicht einmal die Philosophen.
    Deren Debatte schien an diesem Tag nicht mehr richtig in die Gänge zu kommen. Zu wenige beteiligten sich aktiv am Gespräch, vor allem die später Hinzugekommenen, Veronika Plank und Franz Jäger, wirkten lethargisch und geistig mit anderen Dingen beschäftigt. Veronika reagierte nicht einmal auf das Schlusswort von Bernhard Klein, das zweifellos an sie gerichtet war: »Was ist wirklich und was nicht? Jeder muss für sich selbst herausfinden, welche Dimension des Erlebbaren er noch als real empfindet. Innerhalb dieser Realität aber sollte er die Zügel in die Hand nehmen. Wer mit einer Spielkonsole hantiert, tut das oft viel zielsicherer als jemand, der sich im Augenblick seines Tuns als Handelnder in der von uns allgemein als ›wirklich‹ verstandenen Welt begreift. Warum eigentlich? Es gibt keinen Grund dafür.«
    »Verzeihe mir, wenn ich nicht klatsche«, konstatierte Bianca Roth knapp. »Aber auf meine Fragen bist du natürlich nicht eingegangen.«
    »Mein Gott, es hat sich einfach nicht ergeben«, bemerkte Stolz. »Außerdem kennen wir deinen Standpunkt zur Genüge.«
    »Wir kennen auch das, was Bernhard jetzt gesagt hat, zur Genüge«, ließ Bianca nicht locker. »Aber für unsere kleine Veronika wiederholt er es gern immer und immer wieder.«
    »Das ist gemein«, wachte Veronika plötzlich auf.
    »Oh, unser Püppchen spricht«, stichelte Bianca weiter. »Ich dachte schon, du bringst den Mund überhaupt nicht mehr auf. Was hast du denn heute?«
    »Komm, lass sie«, forderte Klein sie auf.
    Aber Bianca war nicht mehr zu bremsen. »Warum denn?«, bohrte sie. »Sie redet doch sonst immer so viel Gescheites, von der Gerechtigkeit in der Welt und so weiter. Das ist mir heute direkt abgegangen. Es muss ihr irgendeine Laus über die Leber gelaufen sein. Das sieht man, wie schnell man oft aufhört, die Zügel in die Hand zu nehmen, wenn einen eine kleine Unpässlichkeit drückt.« Sie blickte kurz zum Fenster hinaus. »Nun, ich gebe zu, es ist heute auch ein dummer Tag«, meinte sie schließlich. »Ich spüre es schon die ganze Zeit, und mit dem Schneefall ist es stärker geworden. Ihr könnt mir glauben oder nicht, aber es formiert sich wieder etwas in mir. Ich fürchte, das bedeutet nichts Gutes.«
    Nach dem kurzen allgemeinen Frieden spitzte sich die Situation also wieder zu. Veronika Plank versuchte dem Ganzen kurz zu entfliehen und nahm den Weg Richtung Toilette. Im Halbdunkel an der Theke begegnete sie einem großen, glatzköpfigen Mann, der sie genüsslich mit seinen Augen fixierte. »Guten Abend«, grüßte er kaum hörbar in ihre Richtung. Sie wandte sich ab und huschte an ihm vorbei. Ihr Herz begann schneller zu schlagen,

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