Philosophenpunsch
interessiert sich eben auch für unsere Gespräche.«
»Ich hätte gern ein Mineralwasser«, gab Julia ihre Bestellung auf.
»Und der Herr Lehrer zahlt?«, fragte Leopold schnippisch.
»Leopold!«, fauchte Korber.
»Ich möchte dir wirklich nicht auf der Tasche liegen«, entschuldigte Julia sich. »Aber ich muss morgen erst checken, wie viel Geld auf meinem Konto ist, bevor ich etwas abhebe. Derzeit sieht es nicht rosig aus.«
»Schon gut«, seufzte Korber. Dann setzte er sich mit Julia zu den Philosophen und stellte sie den anderen vor. Bianca Roth hatte gerade wieder das Wort an sich gerissen. »Alles, was man erlebt, ist real«, stellte sie ungeduldig fest. »Egal, ob im Kopf, im Traum oder in der Wirklichkeit. Was sollen diese dummen Unterscheidungen?«
»Aber es muss doch auch ein Gegenteil zu diesen so genannten Realitäten vorhanden sein«, meinte Stolz.
»Nicht auf dieser von uns erlebten Welt«, sagte Bianca. »Es gibt nur das Nichts, und das steht außerhalb dessen. Und niemand von uns weiß, was es ist, da keiner das Nichts je bewusst wahrnehmen kann.«
»Das absolute Nichts ist messbar«, erklärte Caha gelangweilt. »Es liegt bei –273,15 Grad Celsius und beträgt null Kelvin auf der absoluten Temperaturskala. Es ist der Punkt, an dem es keine Bewegung mehr gibt. Der größtmögliche Tiefwert.«
»Das ist Physik, lieber Kollege, und eine zu einseitige naturwissenschaftliche Anschauung«, beeilte sich Korber anzumerken. »So hast du das doch nicht gemeint, liebe Bianca?«
»Ganz und gar nicht. Ich wollte nur auf die Vielfalt dessen hinweisen, was unsere Erlebniswelt bestimmt. Niemand sieht hier offenbar die metaphysische Komponente, beziehungsweise niemand will sie sehen. Warum öffnen sich die Menschen nicht für das, was aus der Tiefe des nicht mehr Erklärbaren auf uns einströmt und uns wirklich lenkt? Es gibt die Zeichen, wir müssen sie nur verstehen. Wenn jemand wie ich bereits einer Erscheinung teilhaftig wurde …«
Wieder würgte Klein sie sofort ab. »Hör endlich mit diesem Geplapper auf, Bianca«, fuhr er sie an. »Schön langsam glaube ich wirklich, du bist auf der falschen Veranstaltung. Lenke nicht immer ab. Ich möchte kurz auf die Position Heideggers eingehen«, wandte er sich dann den anderen zu. »Er hält das Nichts für ursprünglicher als das Seiende. Ohne das Nichts geht, banal gesprochen, nichts. Ist es unter dieser Prämisse nicht vielmehr die Gegenwart des Seienden, die zu hinterfragen ist?«
»Heidegger, pah«, seufzte Bianca. Sie zündete sich eine neue Zigarette an und blies den Rauch wieder in Richtung ihres Gegenübers Klein. »So weit sind wir schon gekommen, dass wir jetzt Heidegger diskutieren müssen. Ich frage mich, warum ich überhaupt noch die Energie aufbringe, an diesen Debatten teilzunehmen.«
»Wird das heute noch spannender?«, raunte Julia Korber zu. Bei der Weihnachtsfeier war man unterdessen mit dem Essen fertig und sprach bereits eifrig dem Alkohol zu. Es wurde gescherzt und gelacht – freilich über banale Dinge. Dafür gab es zeitweise böse Blicke vonseiten der Philosophen, deren Gespräch weiter düster dahinplätscherte. Julia aber gefiel es. Als dann noch Frau Heller ihren berühmten Punsch persönlich vor den Mitarbeitern der Firma Frick abstellte und es angenehm nach Zimt, Orangen und Rum roch, fasste sie sich ein Herz. Ein Lächeln hierhin, ein paar kurze Worte dorthin, und schon saß sie zwischen zwei gut aufgelegten Männern und scherzte mit.
*
»Lass mich bitte in Ruhe!«
»Aber ich wollte dir doch nur helfen.«
»Es geht schon. Es war nicht so schlimm.«
»Der Mann ist direkt auf dich losgegangen. Er hat dich bedroht. Ich habe schon geglaubt, er schlägt dich.«
»Ja, aber du hast doch gesehen, dass er völlig harmlos war.«
»Kennst du ihn?«
»Das geht dich nichts an. Es ist vorbei. Du brauchst dich nicht mehr aufzuregen.«
»Aber ich sehe doch, wie du dich aufregst, Veronika. Du bist ganz durcheinander.«
»Fass mich bitte nicht an. Das macht sich nicht gut, wenn wir da reingehen.«
»Warte! Ich möchte noch kurz etwas mit dir besprechen.«
»Nicht jetzt. Wir sind ohnehin schon spät dran.«
Mit hochrotem Kopf, der keineswegs bloß auf die Kälte draußen zurückzuführen war, betrat Veronika Plank das Café Heller, gefolgt von Franz Jäger, der wie ein gehorsamer Diener hinter ihr hertrabte.
»Da seid ihr ja«, bemerkte Stolz mit vorwurfsvollem Blick auf die Uhr.
»Bei unserer Studentin ist es nichts
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