Philosophenpunsch
teils durch die unüberhörbare Wirkung des Alkohols, teils weil sein Sprechapparat durch den Sturz noch ein wenig malträtiert war.
»Ich denke, es hat mit Ihrem heutigen Besuch im Polizeikommissariat zu tun«, mutmaßte Leopold.
»Wieso das?«
»Ganz einfach! Sie haben dort eine sehr seltsame Aussage gemacht. Sie haben nämlich Ihre erste Darstellung des Sachverhaltes komplett widerrufen. Das ergibt ein ganz schönes Durcheinander. Kein Wunder, dass Sie jetzt auch ziemlich durcheinander sind.«
Jäger verharrte in seiner Abwehrhaltung. Körperlich schien es ihm nicht übertrieben gut zu gehen. Er spuckte immer wieder zu Boden, was bezüglich der Standfestigkeit seines Magens nichts Gutes verhieß. »Ich habe es tun müssen«, meinte er einsilbig.
»Warum? Weil Ihre Mutter es Ihnen befohlen hat?«
»Aber nein! Sie verstehen mich nicht!«
»Was gibt es da viel zu verstehen? Eine Aussage so, die andere so – das ist in höchstem Maße verdächtig.«
»Hören Sie, was ich der Polizei jetzt erzählt habe, ist die Wahrheit. Zuerst hatte ich Angst wegen dem dummen Schal. Er gehört ja mir, also hatte ich Angst, dass ich verdächtigt werde.«
Viel war von Franz Jäger nicht zu erwarten. Leopolds Hoffnung, dass ihn der Alkohol gesprächig machen würde, hatte sich bis jetzt nicht erfüllt. Nach wie vor blickte er zu Boden und konzentrierte sich in erster Linie darauf, das Rumoren in seinem Körper unter Kontrolle zu bringen. Leopold beschloss, ein paar Schüsse ins Blaue abzufeuern. »Hat es sehr wehgetan?«, wollte er wissen.
Jäger griff sich aufs Kinn. »Meinen Sie den Sturz? Na ja, es geht so.«
»Ach was, Sturz. Ich meine die Ohrfeige, die Ihnen Veronika Plank verpasst hat. Die muss doch ganz schön geschmerzt haben, am Körper und in der Seele«, berichtigte Leopold.
»Weshalb fragen Sie das? Was wollen Sie von mir?«
»Worauf ich hinauswill, ist, dass Sie sich an Veronika heranmachen wollten. Das hat doch schon im Kaffeehaus angefangen. Draußen sind Sie dann zudringlich geworden und sind von der Dame abgewatscht worden. Muss ein ganz beschissenes Gefühl gewesen sein. Da war es gerade günstig, dass dieser Unhold sie überfallen hat. Sie sind stehen geblieben und haben zugeschaut. Sie haben sich an dieser Szene vergnügt, oder? Natürlich haben Sie das der Polizei verschwiegen.«
»Aber jetzt habe ich alles so gesagt, wie es wirklich war.«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, relativierte Leopold. »Ich bin mir da nicht so sicher. Sie mussten Ihre erste Aussage jedenfalls abändern, weil sie so nicht zu halten war. Ihre Mutter hat das sehr schnell erkannt und mit Ihnen eine neue Geschichte zusammengebastelt. Aber so richtig wohl fühlen Sie sich ja noch immer nicht. Sie verschweigen weiterhin wichtige Details. Sie waren am Tatort, sind Veronika später nachgelaufen. Vielleicht haben Sie sie sogar getötet.«
»Ich bin unschuldig! Dieser Perverse hat sie umgebracht«, lallte Jäger mit erhöhter Lautstärke.
»Haben Sie es gesehen?«
»Nein, aber er muss es ja getan haben. Ich wollte nur kurz mit ihr reden, habe es aber dann aufgegeben. Er hat sie eiskalt noch einmal abgepasst.«
»Haben Sie sonst jemanden bemerkt?«
»Jemand hat nach ihr geschrien«, erinnerte Jäger sich. Kleine Schweißperlen zeichneten ein flüchtiges Muster auf seine Stirn. »Kann sein, dass es der ungute Typ aus dem Kaffeehaus war, ich weiß es nicht.«
»Und was haben Sie getan?«
»Ich bin nach Hause gefahren, mit dem Taxi. Aber ich habe das alles schon ausgesagt, hören Sie. Und jetzt will ich auch nach Hause.« Jäger machte einen plumpen Versuch aufzustehen, landete aber sofort wieder mit seinem Gesäß auf der Bank.
Leopold beschloss, nicht lockerzulassen. »Wo ist Ihr Vater jetzt?«, fragte er.
»Mein Vater? In Deutschland – wo sonst?«, erwiderte Jäger, der keinerlei Reaktion ob des plötzlichen Themenwechsels zeigte.
»Haben Sie Kontakt mit ihm?«
Jäger lächelte verkrampft und bekam dabei leichten Schluckauf. »Kontakt mit meinem Vater? Aber wo! Er ist doch auf und davon damals, von heute auf morgen. Er hat uns vor vollendete Tatsachen gestellt, meine Mutter und mich. Er wollte nichts mehr mit uns zu tun haben. So war Vater eben … , streng, aber gerecht – und recht hat er gehabt.«
Mit dem Schluckauf trat auch ein Kräfteverfall bei ihm ein. Franz Jägers Stern, der an diesem Abend nie sehr hell geleuchtet hatte, war am Verglühen. Die Stimme wurde schwächer, die Rede unkoordiniert: »Mein Vater
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