Philosophische Anthropologie
Verhältnis von menschlichem Bewusstsein und Computertechnologie ist von der Forschung, insbesondere der Medizinforschung und Neurowissenschaft, in den letzten zwei Jahrzehnten auf ein neues Niveau gehoben worden. Die voranschreitende Erforschung der natürlichen Grundlagen des menschlichen Geistes hat sich dabei von theoretischen Erwägungen weitgehend entkoppelt. Vor [119] allem die Neurowissenschaft geht ihren Weg und ist der ethischen Reflexion über die Konsequenzen des technisch Machbaren immer einen Schritt voraus. (Pauen 2007, 210–233)
Die verbreitete Argumentation, dass die Forschungserkenntnisse der Neurowissenschaft selbst keine ethischen Probleme aufwerfen, sondern erst ihre Anwendung, ist allerdings nicht stichhaltig, denn in diesem Bereich findet Forschung vorrangig unter dem Aspekt der Anwendbarkeit statt. Die Folgenabschätzung für bestimmte Innovationen ist geradezu ein Hemmnis für ihre ökonomische Verwertbarkeit. Das gilt schon für alle Typen der Neuroimplantate, die beispielsweise der Wiederherstellung bestimmter Fähigkeiten (Seh- und Hörvermögen) wie auch zur Behandlung schwerer Erkrankungen (Morbus Parkinson) dienen. Das betrifft aber vor allem diejenigen Produkte, die nicht Krankheiten lindern, sondern den gesunden Menschen leistungsfähiger machen sollen. Manche gehen so weit, die Implantierbarkeit sogenannter »brain chips« zu prognostizieren, die es möglich machen werden, dass ein Mensch Datensätze von einer externen Datenbank abruft und sie seinem Wissensbestand hinzufügt. Ebenso könnte es möglich sein, persönliche Erinnerungen extern zu speichern und auf einen anderen Menschen zu übertragen. Weniger fantastisch ist die Vorstellung, die gegenwärtig in der Enhancement-Debatte behandelt wird, dass Neuroimplantate zur Verbesserung der Funktionen unseres kognitiven Apparats verwendet werden und so zur Optimierung und zur weiteren Anpassung an moderne Arbeitsprozesse beitragen. Solche Überlegungen zum Neuroenhancement sind schon deshalb nahe liegend, weil ein entsprechendes Vorgehen der künstlichen Optimierung der Leistungsfähigkeit des menschlichen Körpers (etwa im Leistungssport) analog ist. Hier würde es sich mithin nur um die Erweiterung einer gängigen Praxis handeln.
Angesichts der vielfältigen technologischen Möglichkeiten des Eingreifens in die körperliche und geistige Wirklichkeit des Menschen, die unter dem Oberbegriff »human [120] enhancement« subsumiert werden, dreht sich eine Vielzahl der Argumente um die These von einer posthumanistischen Zukunft. (Fukuyama 2002) Tatsächlich sind die Chancen und Risiken für den Menschen, die mit der Entwicklung der »human enhancement technologies« (HET) einhergehen werden, bislang noch nicht angemessen reflektiert worden. Zu vermuten ist allerdings, dass der Übergang von der Neurotechnologie zur »Bewusstseinstechnologie« (Thomas Metzinger) nur den letzten mythischen Rest im menschlichen Selbstbild verflüchtigen wird. Sollte es nämlich möglich werden, nicht nur körperliche Merkmale, sondern auch Bewusstseinsinhalte vorsätzlich und selektiv zu verändern oder zu erzeugen, dann wird mit letzter Konsequenz deutlich, dass das Bild, das wir Menschen uns von uns selbst machen, einen geschichtlichen und variablen Index hat. Damit ist allerdings noch nicht geklärt, welchen Preis diese Einsicht hat. Denn die Erkenntnis, dass unser In-der-Welt-Sein radikal perspektivisch und manipulierbar ist, hebt die Grenze zwischen wahr und falsch, zwischen wahrem und falschem Bewusstsein auf. Diese Grenzziehung hat zumindest eine funktionale Bedeutung, denn mit ihrer Hilfe koordinieren wir unser menschliches Bedürfnis, zwischen Sinn und Unsinn in der Wirklichkeitserkenntnis, zwischen angemessenen und unangemessenen Handlungen und zwischen Integration und Verblendung in unserem Verhältnis zur Wirklichkeit zu unterscheiden. Möglicherweise könnte es der Preis dieser Entwicklung sein, dass uns Menschen in einer absehbaren Zukunft diese Problemstellung unverständlich wird, weil wir lernen werden, nur noch zwischen einer gelungenen und einer misslungenen Einpassung unseres Körpers und Bewusstseinsapparats in seine Umwelt zu unterscheiden. Wenn das so sein wird, dann werden traditionelle Sinnfragen – nach dem Sinn von Krankheit und Leiden, von Leben und Tod usw. – nur dort artikuliert werden, wo sich eine existenzielle Lücke als Folge fehlerhafter physischer und psychischer Programmierung auftut.
[121] Organismus und
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