Phobia: Thriller (German Edition)
sollte. Doch die Therapie hatte nicht so angeschlagen, wie sie es sich erhofft hatte, und Sarah musste immer häufiger an eine Formulierung denken, die sie einmal in einem Roman von Shirley Jackson gelesen hatte: Was auch immer dort umgehen mochte, ging allein um .
Auch jetzt war die Angst wieder hier bei ihr im Schlafzimmer.
Wie ein eisiger Windhauch.
Schnell schüttelte sie diesen Gedanken ab, sah kurz zur Uhr und vertiefte sich dann wieder in das Manuskript, das Nora ihr geschickt hatte.
Das ist der Vorteil, wenn man von Zuhause aus arbeitet , dachte sie. Man ist Herr seiner Zeit und kann in schlaflosen Nächten die Arbeit sogar mit ins Bett nehmen .
Sie überflog die ersten Seiten und las dann noch einmal das kurze Anschreiben, das Nora dem Manuskript beigelegt hatte.
Sorry, Liebes,
es wird Dir bestimmt wieder nicht gefallen. Aber so etwas verkauft sich nun einmal. Wenigstens stammt es diesmal von unserem Goldjungen. Du wirst es an Deinem Honorar merken.
Lass mich wissen, falls Du es trotzdem nicht machen willst. Keine Sorge, ich würde es verstehen.
Wir vermissen Dich hier!
Alles erdenklich Liebe und Gute für Dich,
Nora
Sarah lächelte. Ja, auch sie vermisste die Zeit, in der sie noch Tür an Tür gearbeitet hatten. Ihr fehlten Noras trockener Humor und ihre erfrischend jugendliche Art, die sie sich beibehalten hatte, auch wenn ihr fünfzigster Geburtstag schon ein gutes Stück hinter ihr lag.
Aber es gab Gründe, warum Sarah nicht mehr in den Verlag zurückkehren wollte. Triftige Gründe. Zum Beispiel die Türklinke zu ihrem Büro, die sie plötzlich nicht mehr hatte berühren können, ohne von Panikattacken heimgesucht zu werden. Oder Konferenzräume, in denen ihr scheinbar ohne jeden ersichtlichen Grund der kalte Schweiß ausgebrochen war und sie geglaubt hatte, sie müsse sich jeden Moment übergeben, wenn sie nicht sofort ins Freie lief.
Es waren Gründe, die jedem Außenstehenden verrückt erscheinen mussten und die deshalb nur schwer erklärbar waren. Immerhin hatte nicht einmal ihr Therapeut sie verstanden, auch wenn er ihr mit seinem einfühlsamen Blick zugenickt hatte.
Also blieb sie hier, in vertrauter heimischer Umgebung, und las, was auch immer Nora ihrem literarischen Urteil anvertraute. Sie hatte noch nie die Arbeit an einem Manuskript abgelehnt und würde es auch diesmal nicht tun. Dafür schätzte sie Noras freundschaftliche Unterstützung viel zu sehr. Ganz besonders, weil Nora nie nach den Gründen für Sarahs plötzliche Kündigung gefragt hatte. Es war ihr sichtlich schwergefallen, aber sie hatte Sarahs Entscheidung respektiert und ihr angeboten, sie auch weiterhin zu unterstützen, wo immer sie konnte.
»Sofern du das möchtest«, hatte sie hinzugefügt, und Sarah hatte ihr dankbar versichert, dass sie es möchte.
Deshalb widmete sie sich weiter dem neuesten Werk des jungen Autors, den die einschlägige Presse als den »Großmeister des Horrors« titulierte.
Es war eine der üblichen Serienkiller-Storys, die sich derzeit in den Buchläden türmten und reißenden Absatz erfuhren. Diesmal hatte es ein Psychopath auf schwangere Frauen abgesehen, denen er die Embryonen aus dem Körper schnitt, um seine Opfer anschließend damit zu ersticken.
Großmeister des Ekels wäre zutreffender , dachte sie und schüttelte missmutig den Kopf. Vor ihr lag eine weitere, über vierhundertseitige Aneinanderreihung realitätsferner Gewaltfantasien, die mit den Grausamkeiten ihrer Konkurrenz wetteiferte, um den Blutdurst der Leser zu befriedigen. Rasant heruntergeschrieben, ohne jeden Tiefgang.
Aber sie würde es durchstehen und sich einfach auf die sprachliche Überarbeitung konzentrieren, wie immer in solchen Fällen. Nora zuliebe, und auch für sich selbst. Denn solange sie von zu Hause aus arbeiten konnte, kam sie sich nicht völlig unnütz vor – trotz des zwangsweisen Abbruchs ihrer Karriere, und auch wenn Stephen immer wieder beteuerte, dass sie nicht arbeiten müsse, schließlich verdiene er genug.
Er schien sie nicht zu verstehen. Oder vielleicht wollte er auch einfach nicht verstehen, wollte nicht riskieren, einen Blick hinter die Fassade ihrer Ehe zu werfen. Dorthin, wo sich etwas Unbekanntes hinter allem Glück und vorgeblicher Zufriedenheit eingenistet hatte. Etwas, vor dem man sich vielleicht fürchten musste.
Und dass dieses Etwas existierte, wusste sie tief in ihrem Innern nur zu gut. Sie wollte nur nicht daran denken.
Nicht jetzt und erst recht nicht allein.
Also würde
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