Phobia: Thriller (German Edition)
Film, den er Jay mitgebracht hatte, schließlich wieder ausspie.
Er hatte Jay idyllische Aufnahmen von Sommerwiesen, Berglandschaften, Wäldern und Flüssen ausgesucht, untermalt von Edvard Griegs »Morgenstimmung« und Vivaldis »Frühling«. Und da er gewusst hatte, dass die Lautsprecher des Fernsehers längst nicht mehr richtig funktionierten, hatte er Jay eigens Kopfhörer dafür besorgt.
Jay hatte klassische Musik geliebt, und er hatte ihm etwas Schönes mit auf den Weg ins Jenseits geben wollen.
Auch wenn die Bilder auf dem alten Monitor einen Stich ins Violette gehabt hatten, schien Jay der Film gefallen zu haben. Zumindest hatte er anfangs gelächelt.
Doch dann war alles schiefgelaufen. Die Dosis der Injektion musste zu gering gewesen sein. Er musste sich verschätzt haben, immerhin hatte er so etwas noch nie zuvor getan.
Statt friedlich einzuschlafen, war Jay nach kurzer Zeit von heftigen Krämpfen geschüttelt worden. Das Lächeln war schlagartig von seinem Gesicht verschwunden, und er hatte zu zucken begonnen. Mit weit aufgerissenen Augen hatte er sich an die Kehle gegriffen und verzweifelt nach Luft geschnappt.
»Leg dich wieder hin«, hatte er ihm zugerufen. »Leg dich einfach hin!«
Doch Jay hatte ihn wegen der Kopfhörer nicht hören können. Zwar hatte er versucht, sie sich vom Kopf zu reißen, doch es war ihm nicht gelungen, weil er viel zu sehr damit beschäftigt gewesen war, Luft zu bekommen. Immer wieder hatte er am Kragen seines Flanellhemdes gezerrt und dann wie wild zu strampeln begonnen. Seine zerschlissenen Pantoffeln waren durch die Luft geflogen, und seine Wollsocken hatten auf dem Veloursteppich gerieben, als habe er vor, in aller Eile ein Loch in den Boden zu scharren.
Er war vor Jay zurückgewichen, hatte ihm hilflos zugesehen, und schließlich hatte er den Anblick nicht mehr ausgehalten. Dieses Scharren war unerträglich gewesen. Dieses Keuchen, das fast wie ein Wimmern geklungen hatte. Dieser Ausdruck in Jays Augen, diese Panik, diese Angst …
Wie sehr wir uns doch davor fürchten, loszulassen.
Er hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und war aus dem Schlafzimmer gelaufen.
Dann hatte er in dem kleinen Wohnzimmer gewartet, den Blick starr aus dem Fenster auf die Mauer gerichtet, und hatte um seinen einzigen Freund geweint, der nebenan qualvoll starb.
Aber nun war es endlich vorbei, und der erste Schritt war getan.
Er steckte die DVD und die Kopfhörer in eine Plastiktüte, die er ein paar Straßen weiter in einer Mülltonne entsorgen würde. Das Etui mit dem Injektionsbesteck schob er in die Innentasche seiner Jacke zurück. Er würde es mindestens noch einmal brauchen.
Dann bückte er sich und hob Jay auf das Bett zurück. Auch wenn der schlaffe Körper des Alten kaum mehr als hundertzwanzig Pfund wog, fühlte er sich unendlich schwer an.
»Es tut mir leid, alter Junge«, flüsterte er. »So war es nicht geplant. Aber jetzt hast du’s ja hinter dir. Das hast du dir doch gewünscht.«
Seufzend ging er nach nebenan, wo unterdessen das Wasser kochte. Er goss die Tasse auf, schüttete den Rest des Wassers ins Waschbecken und reinigte den Topf gründ lich von seinen Fingerabdrücken, ehe er ihn mit dem Spüllappen umfasste und in die Ablage unter dem Tisch zurückstellte.
Dann starrte er wieder aus dem Fenster auf die Mauer und nippte an dem Tee. Auch wenn er auf richtige Milch verzichten musste, hatte er das Gefühl, noch nie einen köstlicheren Tee getrunken zu haben.
Liegt wohl daran, dass es mein letzter ist , dachte er.
Zukünftig würde er Tee nicht mehr mögen. Stattdessen würde er ab sofort Kaffee trinken – vorzugsweise kolumbianischen Arabica, schwarz mit ein wenig Zucker. Und das war nur eines von sehr vielen Details seiner Metamorphose.
Nachdem er ausgetrunken hatte, wusch er auch die Tasse ab, rieb sie übergründlich mit Jays einzigem Geschirrtuch trocken und stellte sie zu dem Kochtopf.
Ich habe den ersten Schritt getan , dachte er wieder. Nun war es an der Zeit für den nächsten.
Für einen kurzen Augenblick schloss er die Augen und bereitete sich auf das vor, was nun folgen würde. Er machte sich noch einmal deutlich, dass sein Plan richtig war.
Er würde nichts Falsches tun, ganz im Gegenteil. Was er vorhatte, würde eine Welt verändern. Nicht die ganze Welt, eher einen Mikrokosmos. Aber hieß es nicht, dass man im Kleinen beginnen musste, wenn man Großes erreichen wollte?
Er rollte das Geschirrtuch zusammen und schob es sich zwischen die
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